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(C) The artist, Courtesy Galerie Judin, Berlin
Die Bilder Christoph Hänslis zeigen einige Nasspräparate aus dem Bestand des IPK Leibniz-Institutes.
Aus dem Dornröschenschlaf erweckt

Im Juli 2020 besuchte der Schweizer Künstler Christoph Hänsli das IPK. Die Bilder, die aus diesem Besuch entstanden sind, sind nun in einer Galerie in Berlin zu sehen.

Haben Sie eine Idee? Was haben die Kunsthalle Bielefeld und das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) gemeinsam? Den meisten Menschen fällt auf Anhieb sicherlich keine passende Antwort ein. Der Schweizer Künstler Christoph Hänsli hat nicht nur eine Antwort, er hat beide Einrichtungen in einer Ausstellung mit mehr als 30 Gemälden zusammengebracht, die seit Februar unter dem Titel Panikbeleuchtung in der Galerie Judin in Berlin zu sehen ist.

„Aus der Kunsthalle Bielefeld habe ich Teile der technischen Anlage - sozusagen das ‚Hirn‘ des Museums im Untergeschoss - gemalt. Diese in die Jahre gekommenen Anlagen werden bei der bevorstehenden Renovierung entsorgt. Vor ihrem endgültigen Verschwinden habe ich sie noch malerisch festgehalten und quasi museumstauglich zutage gefördert“, erklärt Christoph Hänsli. Entstanden sind letztlich Bilder von Schalttafeln, Warnleuchten, Messtafeln und Lüftungsgittern.  Und die Parallelen zum IPK? „Auch bei der ‚Backup‘-Thematik des IPK geht es für mich um das Verschwinden und Erhalten. An beiden Orten geht es jedoch immer auch um Versorgung und Sicherheit.“

Im Juli 2020 hat sich der Künstler aus Zürich am Institut umgeschaut und war zwei Tage lang auf der Suche nach passsenden Motiven. In der Ausstellung sind unter anderem zwei Gläserreihen zu sehen. Auf der einen Seite hängen neun Bilder von Nasspräparaten - von Kürbis über Lauch und Tomate bis hin zu Rettich. Und auf der anderen Seite sind in der Galerie Judin sieben In vitro-Kulturen von Kohl und Minze ausgestellt.

„Manche Bilder aus dem IPK findet man im Internet. Die wunderbaren pflanzlichen Individuen der Nasspräparate hingegen, die seit Jahrzehnten im Dornröschenschlaf ruhen, musste ich malerisch einfach zu frischem Leben erwecken. Bei den In vitro-Kulturen hat mich die Kultivierung im Glas fasziniert. Bei den eingelegten Gurken in Essig diesbezüglich das Gegenteil, ihre Konservierung“, erklärt der Schweizer Künstler.

Das Malen eines Grundmotivs mit leichten Abwandlungen hat bei Christoph Hänsli eine Tradition. Vor einigen Jahren malte er eine Serie von 30 Biergläser, die für die 30 Tage eines Monats stehen. Mit viel Schaum, mit wenig Schaum, voll und halbleer, mit hellem und dunklem Hintergrund. Ebenso bekannt sind auch die insgesamt 166 Scheiben einer aufgeschnittenen Mortadella, die er gemalt hat. „Reihung und Wiederholung, das sind im Alltag die Regel, der Einzelfall ist da eher die Ausnahme. Bei den Gläserreihen aus Gatersleben geht es jedoch eher um das Exemplarische als um das gesamte Konvolut“, erklärt Christoph Hänsli.

Gleichwohl ist er noch immer vom Umfang der Sammlungen am Institut beeindruckt: 55.000 Muster in der Ährensammlung, 445.000 Herbar-Exemplare, mehr als 2.000 Muster in der In vitro-Lagerung, 105.000 Proben in den Samenlagerregalen. „Die schiere Unendlichkeit und Grenzenlosigkeit all der Sammlungen finde ich überwältigend. Doch nicht nur das: Mich hat am IPK in Gatersleben auch die Lesbarkeit von Wissenschaftsgeschichte sehr begeistert. Von den alten Nasspräparaten bis hin zur modernsten Phänotypisierungsanlage ist alles vorhanden.“ Doch der Künstler, der sich seit seinem Besuch im Sommer 2020 fast ausschließlich mit den Werken aus Gatersleben beschäftigt hat, stellt auch Fragen.

„Mir kommt bei solchen Sammlungen der Begriff der ‚Hybris‘ in den Sinn. Ob solche Sammlungen, deren Ausmaß ja nicht von Anfang an absehbar war, auch ein Scheitern beinhalten? Ist es tatsächlich dauerhaft möglich, die 130.000 Samensorten aus dem Samenkühllager regelmäßig neu anzupflanzen, um neue Samen zu gewinnen?“ Und so greift Christoph Hänsli nicht nur auf seine beiden bisherigen Leitmotive „Bewahren“ und „Ordnung“ zurück, sondern will auch auf mögliche prekäre Situationen hinweisen. „So erklärt sich auch der Ausstellungstitel Panikbeleuchtung, der auf den Titel eines der jetzt ausgestellten Werke zurückgreift“, sagt der Schweizer Künstler.

Ausgangspunkt für seine Bilder sind meistens Fotos oder Zeichnungen. Und so war der Künstler aus der Schweiz auch lange mit seiner Kamera in der Ährensammlung des Institutes unterwegs. „Fotos sind für mich oft Skizzen.“ Daraus entstehen später die akribisch genau gemalten Bilder. Ein solches hängt auch zwischen den beiden Gläserreihen mit Motiven aus dem IPK und zeigt ein Regal mit den Rückseiten der Pappschachteln in der Ährensammlung.  Die Objekte sind ohne eine Wertung gemalt, frontal, im Maßstab 1:1. Es gehe dem Künstler „mit seiner präzisen und gleichzeitig auch reduzierten Gegenständlichkeit um eine Realitätsschilderung - ohne Überhöhung, ohne Dramatisierung“, heißt es im Text zur Ausstellung.

Bei so viel Faszination für die Wissenschaft bleibt die Frage nach den Gemeinsamkeiten von Künstler und Forscher. „Bis zu einem gewissen Grad spiegle ich mit meinen Arbeiten aus Gatersleben zunächst einmal wissenschaftliches Arbeiten“, erläutert Christoph Hänsli. „Methodisch arbeite ich ebenfalls mit sinnlicher Wahrnehmung und Beobachtung, mit Aufmerksamkeit für das Objekt, mit dokumentarischer Genauigkeit und auch mit einer gewissen forschenden Besessenheit.“

Wer sich davon ein Bild machen möchte, der kann noch bis zum 9. April die Ausstellung in der Galerie Judin besuchen.

Mehr Infos zum Künstler und der Galerie:

https://christophhaensli.ch/

www.galeriejudin.com