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DSMZ
Dr. Amber H. Scholz
„Freier Datenzugang schafft neues Wissen“

Für die Wissenschaft sind Digitale Sequenzinformationen (DSI) von entscheidender Bedeutung. Doch wie ist der Zugang zu DSI geregelt? Wer nutzt die Daten? Und warum ist das Thema auch politisch derzeit so umstritten? Dazu äußert sich Dr. Amber H. Scholz, Wissenschaftlerin am Leibniz-Institut DSMZ, im Interview.

Für die Wissenschaft sind Digitale Sequenzinformationen (DSI) von entscheidender Bedeutung. Doch wie ist der Zugang zu DSI geregelt? Wer nutzt die Daten? Und warum ist das Thema auch politisch derzeit so umstritten? Dazu äußert sich Dr. Amber H. Scholz, Wissenschaftlerin am Leibniz-Institut DSMZ, im Interview.



 

Daten werden auch in vielen Forschungsgebieten immer wichtiger. Oft geht es um sogenannte Digitale Sequenzinformationen (DSI). Was verbirgt sich hinter diesem etwas sperrigen Begriff?

Digitale Sequenzinformationen (DSI) sind genetische Sequenzdaten und andere damit verbundene digitale Daten. Dazu gehören die Details der DNA und RNA eines Organismus, die seine Merkmale und Eigenschaften bestimmen. Durch enorme Fortschritte in der Sequenzierungstechnologie ist es zuletzt immer einfacher geworden, DNA- und RNA-Segmente virtuell zu sequenzieren, zu speichern, auszutauschen und auch zu synthetisieren, also neue DNA-Fragmente herzustellen. All das eröffnet der Wissenschaft in vielen Bereichen völlig neue Möglichkeiten.

Welche Bedeutung haben DSI für den wissenschaftlichen Fortschritt?

Forscherinnen und Forscher auf der ganzen Welt sind auf den reibungslosen Fluss von Sequenzdaten angewiesen, um Lösungen für globale Herausforderungen zu finden - von der biologischen Vielfalt über die Landwirtschaft bis hin zur menschlichen Gesundheit. Gerade in lebenswissenschaftlichen Disziplinen sind global verfügbare DSI ein ganz entscheidender Baustein für die Forschung. Neues Wissen, aber auch neue wissenschaftliche Fragestellungen entstehen häufig erst durch die Analyse und den Vergleich einer großen Zahl solcher Daten.

Ein Genom ist das „Anleitungsbuch“ (How-to Manual) eines Lebewesens. Durch DSI erweitern wir die Bibliothek der Lebenswissenschaft. Es ist allerdings sehr aufwendig, diese genomischen „Bücher“ zu verstehen. Wir schaffen das, in dem wir die Gensequenzen miteinander vergleichen, analysieren und manipulieren. Möglich geworden ist das letztlich durch große internationale offene Datenbanken, die untereinander täglich Milliarden von Sequenzen austauschen und neu analysieren.

Politische Entscheidungsträger auf internationaler Ebene diskutieren derzeit über DSI. Worum geht es da? Und auf welcher Grundlage wird überhaupt verhandelt?

Mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity) wurden die Rechte der Nationen über die Diversität ihrer Ökosysteme - also über alle nicht menschlichen Lebewesen - offiziell anerkannt. Der Vertrag impliziert die Vorstellung, dass Staaten mit einer großen Biodiversität die entsprechenden genetischen Ressourcen zur Verfügung stellen, aber auch etwas dafür verlangen werden dürfen, das heißt Vorteilsausgleich. Doch nicht nur das: Das Herkunftsland kann auch bei weiteren Aspekten wie Ausbildung und Technologietransfer profitieren. Letztlich geht es um einen Vorteilsausgleich, ein „Access and Benefit Sharing“. Bislang aber ist der Vorteilsaugleich hauptsächlich auf physische Ressourcen begrenzt wie Orchideen aus dem Urwald.

Derzeit debattieren die Vertragsparteien darüber, ob der freie Zugang zu DSI beschränkt werden und ein monetärer Vorteilsausgleich (sprich Zugangsgebühren) für die Nutzung der etabliert werden soll. Das lehnen Wissenschaftsorganisationen wie etwa die Leopoldina ab. Sie fordern stattdessen einen weiter freien Datenzugang, unterstützen aber auch die Prinzipien eines Vorteilsausgleiches.

Wie könnte ein solcher Vorteilsausgleich für DSI aussehen?

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können DSI zunächst als Ressourcen nutzen. Durch standardisierte Regelungen würden Nutzer, die von der Biodiversität profitieren, in einen multilateralen Fonds einbezahlen. Daher sehen Forschende und Wissenschaftsorganisationen die politischen Überlegungen kritisch, nach denen der freie Zugang zu diesen Daten eingeschränkt werden soll. Das ist gar nicht nötig. Man kann den Vorteilsausgleich vom Zugang entkoppeln.

Sie haben sich intensiv mit der Bereitstellung und Nutzung von DSI beschäftigt und dazu jüngst auch eine Publikation im Journal GigaScience veröffentlicht. Was haben Sie herausgefunden?

Die vereinfachte Vorstellung, nach der Länder mit einer großen biologischen Vielfalt nur Zugang zu genetischen Ressourcen gewähren und die Wissenschaft nur in den reichen Staaten diese Daten nutzt und eine Wertschöpfung erzielt, die ist nicht länger haltbar. Viele glauben, es läuft wie eine Einbahnstraße. Aber das ist falsch. Unsere Daten deuten vielmehr auf einen weitaus komplexeren Informationsfluss für Digitale Sequenzinformationen hin. Es ist eine Art Kreisverkehr mit mehreren Zufahrten und Abfahrten. Alle Länder nutzen Sequenzdaten, und alle Länder stellen ihre biologische Vielfalt zur Verfügung.

Was haben Sie konkret herausgefunden?

Die Nutzung von DSI von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den Herkunftsländern ist viel starker, als wir erwartet haben. Wir schätzen, es ist gerade dieses offene DSI-Ökosystem, das dazu führt, dass DSI in Ländern mit einem eher niedrigen Bruttoinlandsprodukt stärker genutzt werden als gedacht. Deshalb sollten alle politischen Entscheidungen darauf abzielen, den offenen Zugang zu diesem wichtigen Gemeingut zu erhalten. Unsere Studien zeigen, dass eine Einschränkung des Datenflusses für alle schädlich ist.

Können Sie aus Ihrer Untersuchung ein Beispielland nennen, an dem man zeigen kann, das auch ärmere Staaten DSI nutzen und nicht nur bereitstellen?

Im Fall von Malaysia, einem Land mit großem Artenreichtum, scheint es beispielsweise ein gutes Gleichgewicht zwischen der Produktion und der Nutzung von DSI zu geben. Die Analyse ergab, dass Wissenschaftler aus Malaysia DSI aus 68 anderen Ländern nutzen. Parallel werden die genetischen Ressourcen, die von Malaysia zur Verfügung gestellt werden und die daraus resultierenden Daten in insgesamt 59 Ländern verwendet. Das heißt, obwohl Malaysia sich als „Herkunftsland“ sieht ist es auch ein Nutzerland. Und in der Tat nutzt es mehr als es gibt.

Das Internationale Nukleotid Sequenzdaten Konsortium (INDSC), zu dem auch das Europäische Nukleotid Archiv (ENA) gehört, hat seit diesem Jahr strengere Regeln für die Aufnahme von DSI erlassen. Warum ist das erforderlich? Und wo kann die Datenqualität noch verbessert werden?

In einigen Fällen sind die Herkunft der genetischen Ressourcen für die DSI, aber auch die Nutzung in wissenschaftlichen Publikationen bislang nicht eindeutig nachvollziehbar. Um die Situationen zu verbessern, hat das INDSC seine Regelungen verschärft. Das Ziel muss es immer sein, zum einen die Qualität der Daten auf ein möglichst hohes Niveau zu bringen und zum anderen die Transparenz und Reproduzierbarkeit aller Daten zu verbessern.

In der breiten Öffentlichkeit spielt das Thema DSI bisher jedoch noch keine Rolle. Haben Sie ein Beispiel, mit dem sich der praktische Nutzen von DSI zeigen lässt?

Denken Sie nur an die Impfstoffe gegen Covid-19. Sicher wäre die Wissenschaft heute nicht so weit, wie sie ist, wenn Forscherinnen und Forscher für den Zugang zu den Sequenzdaten von SARS-CoV-2 hätten eine Gebühr bezahlen müssen und dieser eingeschränkt wäre. Daher wiederhole ich gerne noch einmal unsere Warnung: Sollte der freie Zugang zu DSI eingeschränkt werden, so würde das künftig den globalen wissenschaftlichen Fortschritt und die gesellschaftlich-relevante Rolle dessen erheblich erschweren. Im Übrigen haben auch Medien in Deutschland begonnen, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, was uns sehr freut.

Wie sieht der weitere Zeitplan aus?

Ende März werden die weiteren Verhandlungen in Genf vorbereitet, die dann im Spätsommer 2022 in China fortgesetzt werden.

Wie treten Sie gegenüber den Entscheidungsträgern auf? Und wie zuversichtlich sind Sie derzeit, dass Ihre Argumente bei den Verhandlungen im Sommer auch gehört und berücksichtigt werden?

Um der internationalen Forschungsgemeinschaft in den laufenden Verhandlungen eine Stimme zu geben, hat sich bereits im Jahr 2020 das DSI-Wissenschaftsnetzwerk gegründet. Seine Aufgabe ist es, das Verständnis der globalen politischen Entscheidungsträger und Interessengruppen für DSI, ihre möglichen Anwendungen und ihren Beitrag zur Forschung, zur Erhaltung der biologischen Vielfalt und zur öffentlichen Gesundheit zu erhöhen.

Im Netzwerk sind Expertinnen und Experten aus mehr als 20 Ländern mit unterschiedlichen wirtschaftlichen Hintergründen engagiert. Sie wollen ihr Fachwissen nutzen, um die Politik so zu informieren, dass sichergestellt wird, dass neue Rahmenbedingungen für den Zugang zu DSI und der Vorteilsausgleich die wissenschaftliche Forschung nicht beeinträchtigen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf der ganzen Welt nicht benachteiligen, vor allem nicht diejenigen, die über weniger finanzielle Mittel verfügen. Und ja, ich bin zuversichtlich, dass wir mit unseren Argumenten überzeugen können.

Welchen konkreten inhaltlichen Ansatz bieten Sie an?

Um unsere Ideen zu konkretisieren und auf die internationale Bühne zu bringen, haben wir erst vor wenigen Tagen im Journal Nature Communications einen neuen Rahmen für eine DSI-Lösung veröffentlicht. Dieser Rahmen sieht dabei vor, einen positiven Feedback-Loop von DSI mit Blick auf die Biodiversität aufzubauen. Das heißt, wir wollen einen Anreiz für die DSI-Erzeugung schaffen, um für alle Akteure letztlich den bestmöglichen Vorteilsausgleich ermöglichen zu können. Dieser Ansatz ist aus unserer Sicht vielversprechender, als über Drohungen und Bestrafungen zu reden.  

Wie nehmen Sie ganz persönlich Ihre Rolle wahr?

Meine beiden letzten Stellen waren innerhalb der amerikanischen Bundesregierung. Dort ist es vor allem wichtig, dass man zuhören kann und dann meist intern reagiert. Das ist in der Wissenschaft anders. Hier habe ich die Möglichkeit, aus meinem Verständnis heraus ja sogar die Pflicht, mich in den politischen Prozess einzubringen. Dazu gehört es, empirische Daten für Entscheidungsträger zu liefern und ihnen Bedeutung und Implikationen zu erklären.