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IPK/ Andreas Bähring
Prof. Dr. Andreas Graner
„EU-Kommission folgt der Wissenschaft“

Die EU-Kommission hat jüngst in einer Studie das Potenzial molekularbiologischer Methoden wie dem „Genome Editing“ für eine nachhaltige Landwirtschaft - und damit auch für Ziele wie den „European Green Deal“ - unterstrichen. Gleichzeitig kommt die Kommission zu dem Schluss, dass das bestehende Gentechnikrecht aus dem Jahr 2001 nicht geeignet ist, die neuen Methoden angemessen zu regulieren. Dazu äußert sich Prof. Dr. Andreas Graner, Geschäftsführender Direktor des IPK Leibniz-Institutes, im Interview.

Hatten Sie die Positionierung der EU-Kommission in dieser Deutlichkeit erwartet?

Ich hatte dies erwartet, da sich zahllose Fachgesellschaften und Akademien in ganz Europa mit dem bestehenden EU-Gentechnikrecht und einem entsprechenden EuGH-Urteil aus dem Jahr 2018 befasst haben. Im Ergebnis spiegelt die Schlussfolgerung der EU-Kommission nur die dringende Empfehlung der Wissenschaft zur Novellierung des veralteten, europäischen Gentechnikgesetztes wider, das noch aus dem Jahr 2001 stammt.

 

Welche Bedeutung hat dieses Signal aus Brüssel für die Wissenschaft, aber auch für das IPK Leibniz-Institut?

Dies ist ein Signal, dass die Stimme der Wissenschaft in der Politik wahrgenommen wird. Neben dem Hinweis auf das veraltete EU-Gentechnikrecht ist vor allem wichtig, dass die Kommission in ihrer Stellungnahme das große Potenzial von „New Breeding Technologies“ (NBT) wie dem „Genome Editing“ für die Verbesserung von Nutzpflanzen hervorhebt. Dies unterstreicht nur die Bedeutsamkeit der entsprechenden Forschungsarbeiten an unserem Institut. Auch hier wird seit Jahren intensiv mit Methoden wie der Genschere CRISPR Cas gearbeitet.  

 

Was sind aus Ihrer Sicht die Vorteile des „Genome Editing“? Und wo liegen die wichtigsten Unterschiede zu klassischen Züchtungsverfahren?

Die Verfahren sind im Vergleich zur konventionellen Mutagenese vor allem deutlich präziser. Klassische Verfahren beruhen auf dem Zufall, das ist bei NBT anders. Hier geht es darum, einzelne, bekannte Gene anzusteuern und gezielt zu verändern Mit anderen Worten: Wer NBT ablehnt, der schenkt dem Zufall mehr Vertrauen als der Wissenschaft.

 

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat vergangene Woche noch einmal betont, für sie bleibe das EuGH-Urteil aus dem Jahr 2018 maßgeblich. Die EU-Kommission dagegen hält die dort verankerten Regelungen, die sich auf das Gentechnikrecht aus dem Jahr 2001 beziehen, für nicht mehr zeitgemäß. Was kritisieren Sie an den bestehenden Vorgaben?

Die bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen reflektieren nicht den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik. NBT verursachen Mutationen, die auch in der Natur oder durch klassische Mutagenese - also beispielsweise Bestrahlung - entstehen können. Der große Unterschied: Durch die hohe Genauigkeit ist die Zahl der Nebeneffekte deutlich geringer. So veränderte Pflanzen sind im Ergebnis nicht von klassisch gezüchteten Pflanzen zu unterscheiden. Damit macht es auch keinen Sinn, sie den sehr restriktiven Regularien des Gentechnikrechtes zu unterwerfen. Als dieses Gesetz 2001 in Kraft trat, waren Verfahren wie das „Genome Editing“ noch völlig unbekannt. Das unterstreicht nachdrücklich den jetzigen Handlungsbedarf.

 

Die Bundesumweltministerin sagte zudem, die Wissenschaft habe das „Heilsversprechen“ in Verbindung mit dem „Genome Editing“ nicht erfüllt. Was ist bisher konkret erreicht worden? Und warum ist der Ansatz wichtig, um künftige Herausforderungen wie den fortschreitenden Klimawandel und die wachsende Weltbevölkerung bewältigen zu können?

Die Landwirtschaft steht vor großen Herausforderungen. Niemand hat Heilsversprechen abgegeben. Klar ist aber, dass Innovationen erforderlich sind, um Nutzpflanzen an unsere Bedürfnisse und künftige Herausforderungen wie den Klimawandel und die wachsende Weltbevölkerung anpassen zu können. In zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen wurde bereits gezeigt, was mit NTB möglich ist. Das reicht von Krankheitsresistenzen über verbesserte Pflanzeninhaltsstoffe bis hin zu besserer Stresstoleranz. Mit einer Reform des Gentechnikrechts würden praktische Anwendungen auch in Europa denkbar. Das würde die Entwicklung von Anwendungen für eine nachhaltigere Landwirtschaft vorantreiben. Wir sollten einfach alle Optionen nutzen. Den Plan A zu verwerfen ohne einen Plan B zu haben, mag Wählerstimmen einbringen, ist wissenschaftlich aber nicht überzeugend.

 

Viele Kritiker des „Genome Editing“ betonen, die Risiken solcher Verfahren seien überhaupt noch nicht abzuschätzen. Es klingt schwer vorstellbar, dass die bisher nicht geprüft worden sind.

Mögliche Risiken durch einzelne bekannte Mutationen, die mittels „Genome Editing“ gezielt in einem bestimmten Abschnitt des Genoms erzeugt wurden, sind mit deutlich weniger Risiken behaftet als tausende unbekannte Mutationen, die durch natürliche Strahlung erzeugt oder künstlich Induziert wurden.

Davon unabhängig ist jeweilige Eigenschaft einer neu gezüchteten Sorte für die Bewertung von spezifischen Risiken entscheidend und nicht die Technologie, die bei der Züchtung zum Einsatz kam. Man sollte also das Produkt bewerten und nicht das Verfahren.

 

Manchmal bekommt man den Eindruck, dass die Politik auf wissenschaftliche Erkenntnisse nur noch dann zurückgreift, wenn diese die eigenen Vorstellungen untermauern. Fühlen Sie sich da als Wissenschaftler überhaupt noch ernstgenommen oder werden sie zum Spielball politischer Interessen?

Wissenschaft und Politik lassen sich nicht vollkommen trennen. Dennoch muss die Position der Wissenschaft unabhängig vom politischen Tagesgeschäft und unabhängig von Interessen von Verbänden und NGOs bleiben. Unsere Forschung hat vielfältige Bezüge zu Themen wie Nahrungsmittelsicherheit, Biodiversität und Umweltschutz, die für unsere Gesellschaft von hoher Bedeutung sind. Dementsprechend stehen wir im Austausch mit allen Akteuren. Das entbindet uns jedoch nicht davon, dass wir als Wissenschaftler ausschließlich der Wahrheit verpflichtet sind.

 

Aber auch für Teile der Bevölkerung ist schon der Begriff Gentechnik ein rotes Tuch. Auf der anderen Seite haben Emanuelle Charpentier und Jennifer Doudna für die Entdeckung der Genschere 2020 den Chemie-Nobelpreis und die Wissenschaft hat es in Rekordzeit geschafft, einen Corona-Impfstoff zu entwickeln. Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz?

Auf dem Gesundheitssektor sind die Vorteile der Gentechnik für den einzelnen Bürger unmittelbar erkennbar. Das erhöht die Akzeptanz. Wenn es um die Ernährung geht, ist der Nutzen der Gentechnik für die Verbraucher nicht immer direkt erkennbar. Deshalb müssen wir hier noch sehr viel Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit leisten. Der Weg der Kritiker, die grüne Gentechnik aufgrund vorgeblicher Gefahren abzulehnen, hilft keinem weiter.  

 

Sollte es eine Neuregelung in Europa geben, wird es vermutlich noch einige Jahre dauern, bis die vorliegt - trotz der jüngsten Stellungnahme der EU-Kommission. Müssen Sie also tatenlos zuschauen oder können Sie den Prozess beschleunigen?

Wir können den Prozess nur mittelbar beeinflussen, indem wir aufklären und auf die Politik Notwendigkeit einer klaren Regelung hinweisen. Fachgesellschaften und Akademien wie die Leopoldina haben diesbezüglich eine wichtige Aufgabe.

 

Befürchten Sie durch den langen Abstimmungsprozess, den die EU-Kommission jetzt starten möchte, weitere Nachteile für den Forschungsstandort Europa?

Solange NBT als Gentechnik reguliert sind, wird es keine Feldforschung dazu geben. Niemand wird sich dazu bereit erklären Freisetzungsversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen durchzuführen, solange Feldzerstörerinnen und Feldzerstörer, die gegen geltendes Recht verstoßen, von einigen NGOs als „Mutige Bürger mit Zivilcourage“ gefeiert werden.

 

Was stimmt Sie optimistisch, dass Verfahren wie das „Genome Editing“ doch noch zu einem anerkannten Verfahren wird, das auf breite Akzeptanz trifft? 

Das wachsende Interesse junger Menschen, sich über Parteidogmen und Narrative hinweg eine eigene Meinung zu dem Thema zu bilden sowie das Engagement junger Forscherinnen und Forscher auf dem Gebiet der Wissenschaftskommunikation stimmen mich optimistisch, dass wir es schaffen, die Akzeptanz für unsere Forschung weiter zu erhöhen.