Theodor Roemer

Theodor Roemer

Theodor Roemer (1883–1951)

Der Genetiker und Züchtungsforscher Erwin Baur gilt als einer der Wegbereiter der modernen Pflanzenforschung in Deutschland. 1928 wird er Gründungsdirektor des „Kaiser-Wilhelm-Institut für Züchtungsforschung“ in Müncheberg und er ist Lehrer Hans Stubbes, des Gründungsdirektors der heutigen IPK Leibniz-Institutes in Gatersleben. Seine Mitarbeit an einem Standardwerk zur Rassenhygiene bringt ihm allerdings auch Kritik ein und verpflichtet zu einem differenzierten Blick auf Forschung und Wissenschaft im geschichtlichen Kontext.

Erwin Baur wird 1875 im badischen Ichenheim geboren. Er studiert Medizin und ist mit 25 Jahren Arzt in Kiel, leistet seinen Militärdienst 1901/02 bei der Marine und arbeitet dann als Arzt in psychiatrischen Einrichtungen in Kiel und Emmendingen. 1903 wird er Assistent am Botanischen Institut der Universität Berlin. Mit seinen Arbeiten eröffnet er den Einstieg in neue Arbeitsgebiete der Botanik, hält ab 1907 erste genetische Vorlesungen und schreibt zwei Lehrbücher, darunter das erste deutschsprachige Lehrbuch für Genetik. Zusammen mit Carl Correns führte er 1909 umfangreiche Kreuzungsexperimente mit Pelargonien, einem Storchschnabelgewächs, durch. Die untersuchten Merkmale folgten nicht den „Mendelschen Regeln“. Auf diesem Weg hat Baur die Plastidenvererbung entdeckt.

Sein Interesse an der experimentellen Genetik und der Züchtung mittels Kreuzung und Mutation veranlasst ihn 1911 zum Wechsel auf den Lehrstuhl für Botanik an der landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin. Hier erhält Baur 1914 den ersten Lehrstuhl für Genetik an einer deutschen Hochschule. Gemeinsam mit Carl Correns und Richard Goldschmidt gründet er 1921 die Deutsche Gesellschaft für Vererbungswissenschaft und wird 1922 Mitglied der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, der Vorgängerorganisation der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

Erwin Baur, als Genetiker und Züchtungsforscher international anerkannt, kann als Organisator und Präsident 1927 den „5. Internationalen Genetiker-Kongress“ nach Berlin holen. Um die Forschungsmöglichkeiten auszuweiten, stellt er mit Ferdinand von Lochow den Antrag auf ein „Institut für Züchtungsforschung“, den die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft 1927 bewilligt. Am 29. September 1928 kann er „sein Institut“, das „Kaiser-Wilhelm-Institut für Züchtungsforschung“ in Müncheberg als Direktor eröffnen. Damit hat Baur die Entwicklung der modernen Pflanzenzüchtungs- und Mutationsforschung in Deutschland begründet. Baurs Schüler Hans Stubbe, Gründungsdirektor des heutigen IPK Leibniz-Institutes, schreibt 1959, „Niemand kann heute mehr ermessen, mit welchem Übermaß an Kraft das Werk zustande kam, das in den wenigen Jahren bis zu seinem Tode schon in voller Blüte stand“.

Ab 1933 ergeben sich Probleme bei der Finanzierung des Instituts. Das führt zu Auseinandersetzungen mit dem NS-Reichslandwirtschaftsminister R. W. Darré. Der will auf finanzielle Forderungen Baurs nicht eingehen, aber Einfluss auf die Forschung gewinnen. Die Konflikte erreichen am 29.11.1933 einen Höhepunkt, als ein vom Ministerium beauftragtes Kuratorium zur Begutachtung des Instituts in Müncheberg eintrifft. Baur ist erschüttert und gekränkt. Er stirbt am 2.12.1933 an den Folgen eines Herzinfarktes.

Eine posthume Ehrung erfährt Erwin Baur 1938, als das Institut den Namenszusatz „Erwin-Baur-Institut“ erhält. Im Februar 1945 wird der größte Teil des Instituts kriegsbedingt nach Köln umgesiedelt, und ist heute als „Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung“ weltweit bekannt. Der in Müncheberg verbliebende Teil wird hier am 1.10.1945 als Zentralforschungsanstalt für Pflanzenzucht (Erwin-Baur-Institut) wiedereröffnet und erhält 1997 den Namen Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e. V.

Als Genetiker und Züchter ist Erwin Baur um die Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Landwirtschaft durch züchterische Neuerungen bemüht. Mit großem Interesse beschäftigt er sich aber auch mit den zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufkeimenden Ideen der Eugenik. Grundgedanken dieser Lehre waren auch in der Weimarer Republik verbreitet, jedoch kein spezifisch nationalsozialistisches Gedankengut. Parallel entwickelt sich aber das Konzept der „Rassenhygiene", nach welcher die nordische Rasse als höherwertig eingestuft wurde. Zwischen beiden Ideen gibt es inhaltliche, aber auch personelle Überschneidungen. „Positive“ Eugenik zielt auf eine Auslese der sogenannten Tüchtigen ab. „Negative" Eugenik soll die Geburt sogenannter Minderwertiger verhindern. Die Nationalsozialisten zielen auf Letzteres ab. Mehrere 100.000 Menschen wurden bis zum Ende der Nazidiktatur zwangssterilisiert. Die Eugenik findet seit 1900 nicht nur in England, Deutschland und anderen europäischen Ländern, sondern besonders in den USA eifrige Unterstützer, v.a. unter Ärzten und Genetikern. Die Eugenik als Forschungsfeld beschäftigt sich mit erblichen Krankheiten und deren Vererbung.

In diese Diskussionen hinein erscheint 1921 in Deutschland das Lehrbuch „Grundriss der menschlichen Erblichkeitslehre und Rassenhygiene" der Autoren Erwin Baur, Eugen Fischer und Fritz Lenz. Es wird auch international zum Standardwerk der Rassenhygiene. Baur beschreibt im einführenden Kapitel die Grundlagen der Genetik. Den Hauptteil des Buches zu den Themen Eugenik, Rasse und Rassenhygiene verfassen Fischer und Lenz. Die Mitarbeit an diesem Werk ist Baur gleichwohl zum Vorwurf gemacht worden, weil er sich trotz seiner Aussage, dass es keine „reinen“ menschlichen Rassen, als auch keine reine „arische Rasse“ gäbe, sich hier nicht konsequent gegen rassenhygienische „Reinigungs- und Auslese-Theorien“ ausgesprochen hat. Die verbrecherische und massenweise „Vernichtung unwerten und unerwünschten Lebens“ durch die Nationalsozialisten nach der Machtergreifung 1933 hat Erwin Baur nicht mehr erlebt.

Hans Stubbe schrieb im Nachruf von 1934 über seinen Lehrmeister: „Baurs Arbeit wurde getragen von der hohen Idee, seinem Volke zu helfen und er leitete den Angriff gegen die Not der Landwirtschaft mit der Kühnheit und der Entschlossenheit eines großen Feldherrn.“ Gutachter (Kröner u.a. 1994) bescheinigen, dass Erwin Baur eine geistige Urheberschaft an den historischen Verbrechen, die der Nationalsozialismus begangen hat, nicht angelastet werden kann.

Das Wirken Erwin Baurs ausschließlich im Kontext seiner Zeit zu sehen greift für Nachgeborene zu kurz. Es zeigt, welche Verantwortung auf Wissenschaft, Forschung und Erkenntnisgewinn lasten, wie diese genutzt aber auch missbraucht, umgedeutet oder vereinnahmt werden können. Eine Verantwortung, welcher wir uns nicht entziehen wollen und dürfen.