Erfolgreich, lebensfroh und engagiert - so beschreibt Ricardo Giehl die Brasilianer am IPK. Er selbst kam vor 15 Jahren nach Gatersleben und erzählt, wie seine Landsleute gut Fuß gefasst haben am Institut.
Eines gleich vorweg: „Keiner von uns kann sehr gut Fußball spielen“, sagt Ricardo Giehl mit einem Schmunzeln und greift eines der Klischees auf, dass viele Menschen mit Brasilien verbinden. Aber sonst ist die brasilianische „Community“ am IPK stark aufgestellt: Sie leiten Arbeitsgruppen, sind durch ihre aktive Mitarbeit im PhD-Student-Board und Postdoc-Board eine wichtige Stimme der Forscherinnen und Forscher und engagieren sich im „IPK-Club“. Und keiner weiß das so genau wie Ricardo Giehl. Der 43-Jährige kam 2010 ans IPK und ist hier „dienstältester“ Brasilianer. Mit Gabriel Ragazzo und Rodolfo Maniero hat er aktuell auch zwei Landsleute in der von ihm geleiteten Arbeitsgruppe „Molekulare Pflanzenernährung“. „Beide wurden mir vor einiger Zeit von einem Kollegen aus Brasilien empfohlen, der einer der Betreuer ihrer Masterarbeiten war und den wir aus seiner Zeit an der Universität Hohenheim in Stuttgart kennen.“ Und beide haben sich schnell einen Namen gemacht - am IPK, aber auch darüber hinaus. Gabriel Ragazzo war bis vor Kurzem Sprecher des PhD-Student-Boards am IPK und des Leibniz-PhD-Netzwerks. Und damit Stimme der Doktorandinnen und Doktoranden aller 97 Leibniz-Institute. Rodolfo Maniero war nicht nur aktiv im PhD-Student-Board, sondern auch Erstautor einer Publikation in der Fachzeitschrift „Nature Communications“.
Auch Martin Mascher ist immer wieder eine gefragte Anlaufstelle für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Brasilien. Derzeit arbeitet Marina Pupke in seiner Arbeitsgruppe „Domestikationsgenomik“. Auch sie engagiert sich in den Gremien des Instituts und ist die Sprecherin des Postdoc-Boards. Zuvor war Amanda Camara über viele Jahre Mitglied in seinem Team. Heute leitet sie die Arbeitsgruppe „In Silico Genbank-Proteomik“ und betreut mit Victor Rabesquine Nogueira einen brasilianischen Postdoc in ihrer Gruppe. Und - wenig überraschend - auch sie war mehrere Jahre im Postdoc-Board aktiv. „Wir haben also mehrere Quellen, aus denen sich die brasilianische „Community“ am IPK speist, zumal auch Andreas Houben häufig brasilianische Gastwissenschaftler hatte“, sagt Ricardo Giehl. Mit Ana Eisermann arbeitet noch eine Brasilianerin in der Arbeitsgruppe „Ressourcengenetik und Reproduktion“, aber auch in der „Genbank-Dokumentation“ gebe es mit Alexandre Pinheiro einen Landsmann. Insgesamt arbeiten derzeit neun Kolleginnen und Kollegen aus Brasilien am Institut.
Gabriel Ragazzo ist seit November 2021 am IPK und fühlt sich nicht nur am Institut sehr wohl, sondern auch unter seinen Landsleuten. „Ich hatte das Glück, hier schnell andere Brasilianer kennenzulernen, die schnell wie eine Familie wurden. Unser Markenzeichen ist das Lächeln, das wir immer auf unseren Gesichtern tragen“, sagt der junge Wissenschaftler. Bereits seit 2018 ist derweil Amanda Camara am IPK, und auch ihr hätten die Landsleute, aber auch die Kollegen aus anderen Ländern Lateinamerikas den Start am Institut sehr leicht gemacht. „Sie haben mir Unterstützung angeboten, wie sie sonst nur eine Familie bieten kann.“ Bis heute helfe ihr diese Vertrautheit und Sicherheit auf ihrem Karriereweg. Das bestätigt auch Marina Pupke, die bei ihrem Start am IPK von Amanda Camara Hilfe und Unterstützung bekam. „Brasilianer knüpfen rasch Kontakte, sei es zu Landsleuten, sei es zu Leuten aus anderen Ländern.“
Die meisten der Brasilianer am IPK stammen aus der Region Sao Paulo. „Der Bundesstaat gilt als der industrielle Motor Brasiliens. Die Leute von dort können hart arbeiten, aber auch viel feiern“, erzählt Ricardo Giehl. Und so seien die Brasilianer vom IPK nicht nur beim Oktoberfest in München gewesen, sondern auch beim Karneval in Köln. Er selbst stamme aus dem Bundesstaat Rio Grande do Sul im Süden des Landes, nahe der Grenze zu Argentinien und Uruguay. Diese Region ist sehr stark von den Deutschen geprägt, die vor allem in der Zeit von 1824 bis 1930 dorthin eingewandert sind. Er habe als erste Sprache auch einen alten deutschen Dialekt gelernt und Karneval spiele dort bei weitem nicht solch eine Rolle wie in Rio de Janeiro oder anderen Städten, berichtet Ricardo Giehl. „Noch bevor ich hierherzog, hatte Deutschland bereits einen starken Einfluss auf meine Persönlichkeit“, sagt der 43-Jährige.
Alle zwei Jahre besucht er seine alte Heimat. „Das fühlt sich fast an wie eine Auslandsreise an“, sagt der IPK-Wissenschaftler. Ähnlich wie auf seinen Dienstreisen nutzt er auch diese Besuche, um Entwicklungen zu beobachten und Vergleiche anzustellen. Einerseits besteht weiterhin das große Problem der Abholzung im Amazonasgebiet. Andererseits wächst in Brasilien das Bewusstsein für Nachhaltigkeit - sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Lebensmittelproduktion. Das Ausbildungssystem der meisten öffentlichen brasilianischen Universitäten sei gut strukturiert und sehr wettbewerbsfähig. „Darüber hinaus bringt ein inzwischen gut etabliertes wissenschaftliches Einstiegsprogramm die Studierenden bereits in der Anfangsphase ihres Bachelorstudiums durch die Teilnahme an Forschungsprojekten und experimentellen Aktivitäten in täglichen Kontakt mit der Wissenschaft“, berichtet Ricardo Giehl.
Doch auch ohne Karneval und Fußball kommt bei Ricardo Giehl das Feiern nicht zu kurz. So greift der begeisterte Musiker im Kreise der Kolleginnen und Kollegen sehr gerne selbst zu seiner E-Gitarre, sei es bei der Weihnachtsfeier, sei es bei seinem eigenen Geburtstag im „IPK-Club“. „Ich bin sehr glücklich, denn ich kombiniere das Beste aus beiden Ländern.“