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DSI Scientific Network
Akteure des Side Events zu DSI am 8. Dezember auf der COP15 (v.l.n.r.): Guilherme Oliveira, Deena Errampali, Jens Freitag, Manuela da Silva und Amber Scholz
COP15: „Natürlich überwiegt die Freude“

Im kanadischen Montreal haben seit Anfang Dezember tausende Delegierte aus 196 Staaten knapp zwei Wochen über Regeln für einen weltweiten Naturschutz diskutiert, Vorbild war das Pariser Klimaschutzübereinkommen aus dem Jahre 2015. Ziel war es nun, die „Orgie der Naturzerstörung“ zu beenden, wie Uno-Generalsekretär António Guterres erklärte. Am Ende stand tatsächlich ein Kompromiss. Wie er die COP15 vor Ort erlebt hat und warum für die Wissenschaft auch die Diskussion über Digitale Sequenzinformation so wichtig sind, erklärt Dr. Jens Freitag im Interview.

Tausende Delegierte, tagelange Diskussionen in unterschiedlichsten Formaten und eine komplexe Thematik mit so vielen unterschiedlichen Facetten - all das klingt nach einem extrem herausfordernden Programm. Was hat Dich am meisten beeindruckt?

Persönlich inspirierend, motivierend und beeindruckend war insbesondere, dass Forschung und Wissenschaft in Montreal eine Stimme bekommen haben, diese ernstgenommen und integriert wurde.Beeindruckt hat mich in Montreal auch die Beteiligung junger Menschen. Studierende waren nicht nur engagierte und interessierte Teilnehmer, sondern auch Akteure. Erwähnen möchte ich aber auch das Interesse von Unternehmen. Dieses als „Green Washing“ abzutun, wäre ungerecht und nicht förderlich. Vielmehr müssen positive Beispiel Schule machen. Die Überzeugung, dass nur auf einem gesunden Planeten gesundes und vielfältiges Leben möglich ist, muss zum ökologischen und ökonomischen Faktor werden.

Am Ende haben sich die Delegierten auf einen Kompromiss geeinigt. Wie bewertest Du diesen Abschluss insgesamt, aber auch aus der Sicht der Wissenschaft?

Natürlich überwiegt die Freude, dass die Verhandlungen auf der COP15 ein erfolgreiches Ende gefunden haben. Grundlegendes wurde beschlossen. 30 Prozent unseres Planeten sollen geschützte Refugien werden. Natur soll Natur bleiben oder es bis zum Ende dieses Jahrzehnts wieder werden. Umweltschädliche Subventionen von jährlich mehreren hundert Milliarden Euro sollen abgebaut werden.

Wirtschaftliche Stimulation zur Umweltzerstörung, Flächenversiegelung, Luft- oder Gewässerverschmutzungen sollen beseitigt und dafür eine ökologischere Ausrichtung der Wirtschaft gefördert werden. Weitere 30 Prozent geschädigter Land-, Binnengewässer-, Küsten- und Meeresökosysteme sollen zudem wiederhergestellt werden. Viele Ziele, um dem Verlust unserer Lebensgrundlage, einem gesunden Planeten, entgegenzuwirken.

Das heißt, in Montreal wurden der Rahmen geschaffen und die Ziele formuliert. Wie geht es jetzt weiter?

Genau, bei der COP15 wurde lediglich der Rahmen für die konkretere Ausgestaltung des Schutzes der biologischen Vielfalt geschaffen. Nun sind neben der Implementierung in nationale Vorgaben und konkrete Umsetzungsmaßnahmen auch Monitoring, Überwachung, Fortschrittsberichte und regelmäßige Justierungen erforderlich. Aber es geht eben auch die Finanzierung der Maßnahmen sicherzustellen, auch im globalen Süden also ärmeren Ländern mit großer Bedeutung für die globale Biodiversität. Genau wie bei den Klimaverhandlungen ist auch bei der Biodiversitätskonvention das Geld ein Knackpunkt.

Beschlossen wurde einen neuen Finanzmechanismus unter dem Dach der „Global Environment Facility - GEF“, zu schaffen. Gespeist werden soll dieser Topf durch einen fairen Anteil an den Gewinnen aus der Entdeckung von Medikamenten, Impfstoffen, Lebensmitteln etc., also Produkten, die aus der Nutzung der biologischen Vielfalt, aber auch durch die Nutzung von digitalen Informationen der biologischen Vielfalt generiert werden, den digitalen Sequenzinformationen (DSI).

Im Abschlussdokument heißt es dazu: “Decides to establish, as part of the post-2020 global biodiversity framework, a multilateral mechanism for benefit-sharing from the use of digital sequence information on genetic resources, including a global fund.

Worum geht es bei digitalen Sequenzinformationen? Und woher stammt der Begriff?

Der Begriff ist ein vor allem politisch geprägter und ist nicht abschließend definiert. Er wurde im Rahmen der Verhandlungen zum Übereinkommen zum Schutz der biologischen Vielfalt (Convention for Biological Diversity) für einen Spezialbereich geschaffen. Im Rahmen der Vertragsverhandlungen werden digitale Sequenzinformationen alle sequenzierten DNA- (Erbinformation), aber auch RNA- sowie Protein-Sequenzen diskutiert. Diese liegen computerisiert in Datenbanken vor.

Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben schon im Vorfeld der COP15 sich für eingesetzte, dass der freie Zugang zu diesen Daten erhalten bleibt. Warum ist das so wichtig?

Der uneingeschränkte Zugang zu digitalen Sequenzinformationen (DSI) und verwandten Technologien ist für alle Interessengruppen und Länder von Bedeutung. Nur mit einem weiterhin freien Zugang lassen sich globale Ziele wie Gesundheitsvorsorge, Schutz der biologischen Vielfalt und Ernährungssicherheit erreichen.

Wie bewertest Du die nun getroffene Vereinbarung zu digitalen Sequenzinformationen?

Wichtig für die Forschungs-Community weltweit ist vor allem, dass hierfür ein multilateraler Mechanismus geschaffen werden soll. Da Informationen aus der biologischen Vielfalt nur in Summe und im Vergleich sehr vieler Informationen einen wissenschaftlichen Wert besitzen, macht es keinen Sinn, deren Nutzung bilateral zu regeln. Damit bleiben auch die Funktionen und die Vernetzungen wissenschaftlicher Datenbanken möglich und für Forschende weltweit frei zugängig.

Wie im Abschlussdokument definiert, welches als Entwurf bezeichnet wird, bis dieses offiziell in alle UN-Sprachen übersetzt ist, wird glasklar ein multilaterales System definiert. Wissenschaft, Forschung, Lehre und Ausbildung können also auch weiterhin auf einen offenen Zugang zu Datenbanken und Informationen zählen. Und die Entscheidung, einen multilateralen Mechanismus für den Vorteilsausgleich für DSI einzurichten, spiegelt nur wider, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit diese Informationen nutzen und Forschung im 21. Jahrhundert funktioniert. Dies ist ein wichtiger Erfolg des DSI Scientific Networks und motiviert uns, auch bei der Ausgestaltung der in Montreal beschlossenen Rahmenbedingungen aktiv mitzuwirken.

Das klingt gut, aber sind die Nutzungsbeziehungen auch schon einmal untersucht worden?

Ja, das ist schon passiert. Um die globalen Nutzungsbeziehungen sichtbar zu machen, haben Forschende des Netzwerks in einem Projekt durch die Analyse frei zugängiger Sequenzdaten beweisen können, dass Forschung und Erkenntnisgewinn ein kontinuierliches Geben und Nehmen sind. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in aller Welt stellen ihre Erkenntnisse - und die damit verbundenen Daten - anderen zur Verfügung. Diese nutzen diese Informationen und generieren aus dem Zugang und der Nutzung dieser Informationen wiederum einen wissenschaftlichen Mehrwert. Dieser wird dann erneut zur Verfügung gestellt. Vom offenen und uneingeschränkten Zugang profitieren somit Forschende weltweit. Die Daten sind das Fundament unserer heutigen Forschung.

Aus einigen Entwicklungs- und Schwellenländern gab es im Vorfeld der COP15 aber Kritik, einige Staaten sahen sich benachteiligt. Zu Recht?

Forschende in den Entwicklungs- und Schwellenländern profitieren von diesen Strukturen besonders, auch das ist ein Ergebnis dieser in einem Fachmagazin publizierten Analysen. Sie nutzen mehr Informationen und Wissen, als sie selbst in das System einspeisen. Dies ist nur ein Ergebnis des vom Bundesforschungsministerium geförderten Projektes WilDSI, an dem das IPK Leibniz-Institut und das Leibniz-Institut DSMZ beteiligt waren.

Diese Dysbalance ist jedoch auch logisch. Im globalen Süden verfügen Forschende nicht über die gleichen Forschungsressourcen und Möglichkeiten, wie die westliche Welt. Daher muss es auch darum gehen, die intellektuellen Potentiale in Entwicklungs- und Schwellenländern zu heben und Forschung auf dem für uns hier gewohnten Niveau zu ermöglichen. Denn dieses kreative Potential wird benötigt, um die vor uns liegenden globalen Herausforderungen zu meistern.

Wie sehen die bisherigen Regelungen aus?

Digitale Sequenzinformationen befinden sich zurzeit in einer Grauzone. Sie fallen nicht unter die Beschränkungen des Nagoya-Protokolls, das als Ergänzung des Übereinkommens zum Artenschutz den Zugang und den Vorteilsausgleich regelt. Viele Staaten, aber auch einige Organisationen wie die OECD, sprechen sich seit Langem schon für einen globalen, freien und ungehinderten Zugang aus.

Einige wenige Länder haben versucht, den Zugang zu digitalen Sequenzinformationen auf nationaler Ebene zu regeln und somit das Prinzip des freien Zugangs auszuhebeln. Für die Wissenschaft wären die Folgen solcher Einschränkungen allerdings gerade auch vor dem auch vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen wie des Klimawandels oder das weltweite Monitoring der biologischen Vielfalt, zu der auch die genetische Vielfalt zählt, eine Katastrophe. Hinzu kommt: Digitale Sequenzinformationen sind in einem evolutionären Kontext entstanden. Diese lassen sich oft keinem definierten Herkunftsland zuordnen. Sie besitzen keinen Bezug zu politisch geprägten Staatengrenzen.

Wie haben sich Institute wie das IPK in die aktuelle Diskussion eingebracht?

Im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten WiLDSI bzw. WilDSI VorweRts Projekts haben wir nicht nur die weltweit verfügbaren Daten analysiert und diese auf einer öffentlich zugängigen Datenbank visualisiert, sondern wir haben im Vorfeld der COP15 auch einige Lösungsoptionen erarbeitet und das bereits erwähnte „DSI Scientific Network“ gegründet. Dieses war im Vorfeld, aber auch auf der COP15 aktiv und gab in den Verhandlungen Forschenden aus vielen Ländern eine Stimme. Der vom Netzwerk in Montreal organisierter Workshop zu Fallbeispielen der Nutzung von DSI wurde vom Interesse quasi überrannt.

Und darüber hinaus?

In Deutschland organsierten wir uns ebenfalls. Zum Beispiel in einer nationalen DSI-Expertengruppe. Mit dieser traten wir an involvierte und am Thema Biodiversität, Vorteilsausgleich oder DSI interessierte Ministerien, aber auch an NGO’s heran. Es wurden Gespräche mit Fachreferaten geführt und Briefe an Ministerinnen und Minister geschrieben. Wir beteiligten uns zudem an thematisch ausgerichteten Runden Tischen und zahlreichen Diskussionen. Im Rahmen des „Leibniz-Forschungsnetzwerk Biodiversität“ entwickelten Forschende aus vielen Leibniz-Instituten und anderen Forschungseinrichtungen in Deutschland die „10 MustKnows“ und im Vorfeld der COP15 die „10 ToDos“ zur Biodiversität. Auch diese werden weithin wahrgenommen und sollen international weiterentwickelt werden.

Ein wichtiger Punkt, der nicht zu kurz kommen soll, da von essentieller Bedeutung, ist die aktive mediale Begleitung. In zahlreichen Beiträgen und Interviews haben sich Mitglieder der Netzwerke und Gruppen geäußert, um eine breitere Öffentlichkeit zu informieren und für unsere Themen zu interessieren.

All dies zusammen hat dazu geführt, dass wesentliche Impulse der Forschenden und des globalen DSI Scientific Networks in den Verhandlungen in Montreal aufgegriffen wurden. Diese Arbeiten wollen wir fortführen, um bei der nun konkret werdenden Ausgestaltung aktiver Partner zu bleiben.

Von Montreal zurück nach Gatersleben: In welchen Bereichen werden am IPK digitale Sequenzinformationen besonders intensiv genutzt?

Am Institut sind Forschende an der Aufklärung von Genomen wichtiger Kulturpflanzen und deren gesamten Diversität sowie deren verwandter Wildpflanzen involviert. Somit stellt das IPK Leibniz-Institut DSI für die globale Gemeinschaft von Forschenden zur Verfügung. Aber gleichzeitig nutzen wir diese und die weltweit verfügbaren DSI auch, um die Funktion von Genen aufzuklären, wenn es etwa um Merkmale für eine verbesserte Anpassung an sich veränderte Wetter-, Witterungs- und Klimabedingungen geht. Oder auch um Merkmale, die Pflanzen von innen heraus widerstandsfähiger gegen Fressfeinde und Parasiten machen oder Merkmale, die Pflanzen besser mit den im Boden verfügbaren „Betriebsmitteln“ umgehen lassen, also Nährstoffen, Wasser oder dort lebenden mikrobiellen Partner. Aber auch die gezielte Veränderung der Architektur von Pflanzen, ober- und unterirdisch, sind Beispiele, an denen am IPK oder in Partnerschaft mit anderen Forschenden weltweit gearbeitet wird. Bei diesen biologischen Fragestellungen sind wir klare Nutzer der DSI.

Dabei treibt uns immer die wissenschaftliche Neugier etwas Grundlegendes zu entdecken. Gleichzeitig haben wir den konkreten Nutzen im Blick. Um im „Leibniz-Sprech“ zu bleiben, die Kombination aus Exzellenz - also Aufklärung von Grundlegendem - und dessen Relevanz, also die konkreten Bedarfe in der Gesellschaft wie eine umweltschonendere Landwirtschaft. DSI spielen in jedem Bereich unserer Forschung eine wichtige Rolle.