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IPK Leibniz-Institut/ J. Himpe
Ingrid Otto mit ihrem früheren Chef Manfred Püchel
„Das IPK ist eine ostdeutsche Erfolgsgeschichte“

Manfred Püchel war nach der Wende einer der prägendsten Politiker in Sachsen-Anhalt. Der frühere Innenminister hat aber auch mehrere Jahre als Wissenschaftler in Gatersleben gearbeitet. Zur Verabschiedung seiner damaligen Laborantin, Ingrid Otto, ist er kürzlich an seine alte Wirkungsstätte zurückgekehrt.

Alle kennen Sie als Politiker. Aber Sie haben vor ihrer politischen Karriere auch jahrelang als Wissenschaftler in Gatersleben gearbeitet. Wie sind Sie damals ans Zentralinstitut für Genetik und Kulturpflanzenforschung gekommen? 

Ich habe in Halle (Saale) Chemie studiert und bin 1972 eines Tages per Anhalter nach Hause gefahren. Das letzte Stück bis Etgersleben, mein Wohnort, nahm mich ein Mann im Trabi mit. Er fragte mich nach meinen Zukunftsplänen. Als ich ihm sagte, dass ich sehr gern in die Biologie bzw. Biochemie wechseln würde, fragte er mich, ob ich das Institut in Gatersleben kenne. Ich kannte Gatersleben und sein Institut zwar nicht, fand aber sehr spannend, was er erzählte. Das war ja genau, was ich machen wollte. 

Also haben Sie die Uni verlassen?

An der Uni hatte man mir kurz vorher eine der begehrten Assistentenstellen angeboten, um zu promovieren. Nach der Autofahrt habe ich die Stelle zurückgegeben und mich in Gatersleben beworben. Das war nicht ohne Risiko. Es hat jedoch geklappt und ich konnte am 1. Oktober 1973 am Institut in Gatersleben meine Arbeit aufnehmen. Und Dr. Günter Scholz, der Mann, der mich zuvor im Trabi mitgenommen hat, wurde sogar mein erster Chef. Ein spannender Mensch, der neben seiner wissenschaftlichen Arbeit für die evangelische Kirche der DDR im Weltkirchenrat gesessen hat. 

Und was verbindet sie mit Ingrid Otto, die Sie zu ihrer Verabschiedung eingeladen hat?

Ich habe damals die Biologielaborantinnen am Institut in Anorganischer Chemie unterrichtet. Ingrid Otto war mein erster Lehrling und ich anschließend ihr erster Chef. Sie hat bis zu meinem Abschied 1982 als Laborantin für mich gearbeitet. Wir hatten immer ein gutes Verhältnis, und ich habe sie als ausgesprochen freundliche und zuverlässige, aber auch selbstbewusste Kollegin in Erinnerung.

43 Jahre später von ihr zu ihrer Verabschiedung eingeladen zu werden, das ist doch aber sicher auch für Sie etwas Besonderes gewesen und auch eine Form der Wertschätzung.

Auf jeden Fall! Ich habe mich sehr über die Einladung gefreut, und die Rückkehr ans Institut war sehr emotional. Ich habe mich lange mit Ingrid Otto und mit ehemaligen Kolleginnen und Kollegen unterhalten. Darunter waren auch noch zwei, drei der ehemaligen Lehrlinge, die ich unterrichtet hatte. Die hatten es damals nicht leicht bei mir, denn die Anorganische Chemie mit dem chemischen Rechnen, war ein schwieriges Thema. Die Rückkehr jetzt war aber auch noch aus einem anderen Grund für mich sehr emotional …

… wir sind gespannt!

Ich habe 1974 in Gatersleben auch meine Frau kennengelernt. Bei uns hat es am Institut gefunkt. Die Mutter meiner Frau war übrigens die Sekretärin von Prof. Klaus Müntz, der mein Doktorvater und in den Jahren 1990 und 1991 Direktor des Instituts war.

Und wie verlief Ihre wissenschaftliche Karriere?

Ich habe 1978 über mRNA promoviert. Das war damals in der DDR ein völlig neues Thema. Ich war Erstautor eines Artikels, der im „European Journal of Biochemistry“, das heutige „FEBS Journal“ erschienen ist. Publikationen in renommierten westlichen Fachzeitschriften, waren durch die Trennung der ost- und westdeutschen Wissenschaft für Forschende im Osten Deutschlands eine Seltenheit. Einer meiner Co-Autoren war übrigens Prof. Benno Parthier. Nach der Wende war er 13 Jahre Präsident der Leopoldina. 

Damit deutete ja eigentlich alles auf eine erfolgreiche Karriere als Wissenschaftler hin. Warum ist es anders gekommen?

Die Akademie der Wissenschaft hatte 1980 ein Programm für Nachwuchskader aufgelegt und Prof. Müntz hatte aus seinem Wissenschaftsbereich sechs Kandidaten nominiert. Fünf wurden genommen, ich als Einziger nicht. Die Stasi hatte mich von der Liste gestrichen, erklärte mir Prof. Müntz später. Wahrscheinlich lag es daran, dass mich die Stasi zwei Jahre zuvor in mehreren Gesprächen in die Mangel genommen hatte und mich wohl als informellen Mitarbeiter (IM) gewinnen wollte. Ich hatte mich ihr aber verweigert und Prof. Müntz sogar von den Gesprächen berichtet. Danach hatte ich Ruhe vor ihr. Die Konsequenzen habe ich dann aber zu spüren bekommen.

Was hieß das konkret für Sie?

Ich war nach dem Gespräch mit Prof. Müntz am Boden zerstört. Denn damit war meine wissenschaftliche Karriere praktisch beendet, das wurde mir damals sofort klar. Ich hatte ja mitbekommen, welche Angebote die anderen Fünf bekommen hatten. Damit jedoch nicht genug. Eine Einladung der Universität in Mailand, die mir zwei Forschungsaufenthalte über jeweils sechs Monate angeboten hatte und diese auch bezahlt hätte, durfte ich nicht annehmen. Und es kam noch schlimmer. Einer der für das Kaderprogramm der Akademie ausgewählten Wissenschaftler durfte mit meinen Proben an einem Institut im westlichen Ausland Versuche durchführen und hat aus den so gewonnenen Ergebnissen eine Publikation gemacht. Das war der entscheidende Nackenschlag für mich.

Wie ging es dann für Sie weiter?

Ich kam 1982 zum Institut für Rübenforschung nach Klein Wanzleben. Ich sollte sofort alle meine Westkontakte abbrechen, was ich nach gründlichem Nachdenken abgelehnt hatte, wobei ich wusste, was das bedeuten würde. Langfristig konnte ich dort somit nicht mehr bleiben. Bis ich eine neue Stelle antreten konnte, wurde ich drei Jahre lang richtiggehend schikaniert. Es war eine schreckliche Zeit für mich. 1986 wurde ich dann Laborleiter im Kreiskrankenhaus in Bahrendorf. Dort lief es für mich wieder deutlich besser. Ich hatte viele Freiheiten und habe diesen Job auch nach der Wende und meinem Wechsel in die Politik noch bis 1992 behalten. 

Und wie haben Sie das Institut in Gatersleben in Erinnerung?

Ich hatte dort eine tolle Zeit, habe in Gatersleben das wissenschaftliche Arbeiten gelernt, hatte eine spannende Forschungsaufgabe, und das Institut war schon damals weltweit anerkannt. Doch nicht nur das: es wurde am Institut über vieles offen gesprochen, und es herrschte in weiten Teilen ein freier Geist. Wie es auch anders sein konnte, habe ich ja später in Klein Wanzleben erlebt.

Fast zehn Jahre nach ihrem Ausscheiden 1982 kehrten Sie 1991 ans Institut zurück und erlebten abermals böse Überraschungen.

Ja, das Hochschulministerium unseres Landes hatte mich in eine Kommission berufen, die auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des IPK auf die Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit überprüfen sollte. Dort saßen mir unter anderem mehrere Kollegen aus dem damaligen Kaderprogramm der Akademie gegenüber. Nach der Überprüfung wurde den belasteten Personen gekündigt. Und die Ironie der Geschichte, auch mein früherer Chef aus Klein Wanzleben, der mich damals schikaniert hatte, wollte nun in Gatersleben anfangen und musste vor der Kommission erscheinen. 

Wie lief das ab?

Jetzt gab er sich plötzlich als Widerstandskämpfer aus, obwohl er das genaue Gegenteil war und ich ihm gegenübersaß. Überprüft werden sollte aber auch der Wissenschaftlerkollege, der mit meinen Proben in Kopenhagen gearbeitet und darüber publiziert hatte. Zwei Wochen vor seinem Termin vor der Kommission kündigte er überraschend im Institut. Seine Akte, die wir von der Gauck-Behörde zugeschickt bekommen hatten, mussten wir daraufhin ungeöffnet zurückschicken. 

Wie sehen Sie das IPK heute?

Ich bin heute immer noch begeistert vom IPK und von dem, was dort geleistet wird. Das Institut hat sich auch nach der Wende behauptet, was vielen anderen Instituten nicht gelungen war. Man kann das IPK als eine ostdeutsche Erfolgsgeschichte bezeichnen. 

Sie waren Innenminister (1994 - 2002), später SPD-Landesvorsitzender und Fraktionschef ihrer Partei im Landtag. Was macht der Politiker Manfred Püchel heute?

Aus der großen Politik bin ich 2011 ausgestiegen. Es war ein bewusster Schritt. Ich kannte die Bundesrepublik nur als Politiker und wollte auch noch das normale Leben kennenlernen. Der Schritt war richtig, kam allerdings für alle anderen vollkommen überraschend. Ich hatte meinen Wahlkreis Staßfurt immer gewonnen, auch wenn es der SPD sehr schlecht ging und hätte ihn wahrscheinlich auch weiter gewonnen. Die Tageszeitung „Die Welt“ hatte 2002 daher getitelt: „Staßfurt das gallische Dorf“. Aber so richtig konnte ich von der Politik doch nicht loslassen. Ich sitze aktuell unter anderem im Kreistag des Salzlandkreises, im Gemeinderat der Gemeinde Börde-Hakel und im Verbandsgemeinderat der Egelner Mulde.