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Julius-Kühn Institut
Prof. Dr. Henrik Hartmann
Der Waldfühler

Henrik Hartmann leitet seit 2022 das Institut für Waldschutz am Julius Kühn-Institut (JKI). Im Interview spricht er über seinen Weg nach Quedlinburg, den Zustand unseres Waldes und seinen Ärger über romantische Vorstellungen vom Wald.

Sie sind als junger Mann nach Kanada ausgewandert und haben dort in einer einsamen Waldhütte gelebt. Was hat Sie dazu getrieben, und war das die Zeit, als sie für sich das Thema Wald entdeckt haben? 

Ja, genau so war es. Ich wollte eigentlich Biologie studieren, aber als unser Professor uns sagte, die Job-Aussichten für uns seien sehr schlecht, habe ich kurzentschlossen meine Sachen gepackt und bin nach Kanada ausgewandert. Dort habe ich dann insgesamt drei Jahre lang in zwei Waldhütten gelebt, auch auf der Suche nach mir selbst. In der vielen Zeit, die ich hatte, habe ich mir alles genau angeschaut. Wo wächst welche Baumgruppe? Und was verändert sich? Stück für Stück lernt man, den Wald zu spüren und mit all seinen Sinnen zu erfassen. Letztlich bekommt man so ein gutes Gefühl für das gesamte Ökosystem Wald.   

Wie führt einen der Weg von der einsamen Waldhütte in Kanada bis auf den Posten als Institutsdirektor einer Bundesoberbehörde?

Das war natürlich kein strikter Karriereplan, den ich verfolgt habe. In der Rückschau hat bei mir jedoch immer ein Rad ins nächste gegriffen. Ich wollte in Kanada Französisch lernen und im selben Gebäude, in dem die Sprachschule war, war auch eine Forstschule. Da war es im wahrsten Sinne des Wortes naheliegend, dort eine Ausbildung als Forstarbeiter zu beginnen. Aber irgendwann konnten meine Ausbilder nicht mehr all meine Fragen beantworten und haben mir gesagt: Dann musst du halt studieren. So habe ich zunächst Forstwissenschaft studiert und dann in Waldökologie promoviert. Zurück in Deutschland habe ich acht Jahre lang am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena gearbeitet, bis sich mir 2022 die Chance bot, am JKI ein neues, eigenes Institut zu leiten.    

Brände, Borkenkäfer und Fotos von riesigen kahlen Flächen. Was genau ist gerade los in den Harzwäldern, also direkt bei Ihnen vor der Haustür? Und inwieweit spiegelt das den allgemeinen Zustand unserer Wälder wider?

Der Harz spiegelt schon ziemlich genau den sehr schlechten Zustand in vielen deutschen Wäldern wider. Verstärkend zum objektiv schlechten Zustand kommen hier aber noch zwei Punkte hinzu. Zum einen ist die Identifikation der Menschen mit dem Harz sehr groß. Die Leute fühlen sich als „Harzer“ und leiden mit ihrem Wald. Ich stamme aus dem Rothaargebirge in Hessen, dort würde niemand auf die Idee kommen, sich „Rothaargebirgler“ zu nennen. Hinzu kommt die flache Umgebung. Alles konzentriert sich auf den „Hügel Harz“ und damit fallen auch die aktuellen Probleme stärker ins Auge.   

Wie ist denn die Lage hierzulande?

Ich finde dramatisch! Wir können den Wald einfach nicht mehr effektiv schützen, um ihn in der bisherigen Form zu erhalten. Nehmen Sie die Fichte: Die Fichte stirbt einfach zu schnell, um sie noch schützen zu können. Die Mortalitätsraten bei der Fichte lagen immer nahe null Prozent. Dann aber stieg die Rate ab 2018 plötzlich auf vier Prozent, das klingt nicht viel, hat aber dramatische Auswirkungen, wenn es sich Jahr für Jahr wiederholt.

Und der Borkenkäfer?

Mittlerweile sind hierzulande Fichtenbestände auf einer Fläche von ca. 500.000 Hektar vom Borkenkäfer zerstört worden. Und die Aussichten sind düster. Die Jahre ab 2018 sind alle zu heiß und zu trocken. Vor allem die Wärme begünstigt die Ausbreitung. Statt ein bis zwei gibt es nun schon drei bis vier Borkenkäfer-Generationen in einer Wachstumsperiode. Probleme gibt es aber mittlerweile auch in bisher als „sicher“ eingestuften Regionen. In Südtirol richten Borkenkäfer mittlerweile auf einer Höhe von über 1.700 Meter massive Schäden an, sowas gab es bisher nicht. Durch den Anstieg der Temperaturen wandert der Käfer also in die Höhe.       

Was sind die größten Fehler, die in Deutschland in den vergangenen Jahren beim Thema Wald gemacht worden sind?

Unsere Naivität war und ist das größte Problem. Viele glaubten und einige glauben noch heute, dass alles, was weltweit in den Wäldern passiert, einen Bogen um Deutschland macht. Hinzu kommt ein trügerisches Gefühl mit Blick in den Rückspiegel. So sorgte das Waldsterben in den 1980er Jahren im Westen auch schon für viele Ängste. Man hat das Problem des „sauren Regens“ aber in den Griff bekommen. Das wird bei den heutigen Problemen nicht mehr so einfach möglich sein. Die Rahmenbedingungen sind heute vor allem durch den Klimawandel ganz andere. So sehen wir in den letzten zwei, drei Jahren Anzeichen für einen galoppierenden Anstieg der Erderwärmung - mit all seinen Folgen.

Aber dass der Klimawandel dem Wald Probleme bereitet, ist doch keine neue Erkenntnis aus den letzten zwei, drei Jahren.

Nein, das stimmt. Erste Studien zu den Auswirkungen von Dürre und Hitze hat es in den USA bereits Ende der 1970er Jahre gegeben. Im Amazonas-Gebiet gab es 2005 und 2010 jeweils sehr hohe Mortalitätsraten ausgelöst durch Dürre, wer hätte das im Regenwald vermutet? Was sich aber in den letzten, wenigen Jahren wirklich dramatisch verstärkt hat, ist die Geschwindigkeit des Wandels. Viele Probleme treten dabei gleichzeitig auf. Das ist wie eine Spirale, die zum Strudel wird, der letztlich in den Tod führt.     

Romantische Vorstellungen, sagten Sie kurz nach Ihrem Start am JKI, seien meistens sehr verfänglich, kämen gut an, brächten uns aber nicht weiter, um den Erhalt des Waldes zu sichern. Warum steht die Romantik den erforderlichen Lösungen im Wege?

Romantische Vorstellungen vom Förster im Tannenwald öffnen vielen Menschen zwar die Herzen, aber sie verstellen den Blick auf die wirkliche Lage. Um es klar zu sagen: Wir werden den Wald in der bekannten Form nicht erhalten können, wir stehen vor einem enormen Umbruch. Dazu müssen wir uns auch von bestimmten Begriffen trennen, wie beispielsweise den „heimischen Arten“. Was sind denn „heimische Arten“? Vor 18.000 Jahren, ein Wimpernschlag in der ca. 385 Millionen Jahre alten Geschichte des Waldes, hatten wir hier überhaupt keine Bäume, es war Eiszeit. Der Begriff führt uns also nicht weiter. Stattdessen sollten wir uns fragen, wie wir es geschafft haben, den Wald in nur wenigen Jahrzehnten in den Zustand zu bringen, in dem er sich heute befindet. Den Klimawandel haben wir zu verantworten, der Wald zeigt uns schon jetzt, wie schwerwiegend die Konsequenzen unseres Handelns sein werden. 

In der öffentlichen Debatte herrscht oft das Bild vor, die Lösung sei ein naturbelassener Wald mit heimischen Arten. Das sehen Sie dann vermutlich auch anders, oder? 

Ja, auch dieser Begriff suggeriert eine Lösung, die es so einfach nicht gibt. In Nordamerika zum Beispiel gibt es riesige, naturbelassene Baumbestände mit dort „heimischen“ Arten. Und auch dort sind zuletzt mehrere hunderttausend Hektar vom Borkenkäfer befallen und vernichtet worden. 

Welchen Zugang wählen Sie, um den Menschen das Thema Wald näherzubringen?

Der Vorteil ist, dass das Thema Wald jeden berührt, das heißt, das Thema ist schon sehr nah an den Menschen. Das Problem dabei ist aber auch, dass jeder eine Meinung zum Wald hat. Das ist wie nach einem verlorenen Fußball-Länderspiel. Da gibt es im Land dann plötzlich 82 Millionen Bundestrainer - und so haben wir eben 82 Millionen Förster. Das führt dazu, dass manchmal falsche Erkenntnisse in den Köpfen verharren.  

Und welche Lösungen schlagen Sie für den Wald vor?

Zunächst einmal geht es mir um die richtige Einstellung. Wir müssen erstens die Situation akzeptieren, wie sie ist. Es geht um einen enormen Umbruch, der nicht in wenigen Jahren zu bewältigen sein wird. Und wir müssen zweitens verstehen, dass der Wald uns nicht braucht, wir aber den Wald. Schließlich wollen wir auf eine Reihe von „Dienstleistungen“ des Waldes nicht verzichten: vom Klimaschutz bis zur Förderung der Artenvielfalt, von der Erholung bis hin zur Nutzung des Holzes, das der Wald uns liefert. Und drittens müssen wir offen und mutig an die Herausforderungen herangehen und sollten auch unorthodox agieren. Der Klimawandel ist eine außergewöhnliche Situation.  

Die richtige Einstellung reicht aber nicht, angesichts der Probleme, die Sie beschrieben haben. Was fehlt noch?

Uns fehlt vor allem Wissen. Wir wissen schlicht und einfach viel zu wenig über unsere Bäume und den Wald. Nehmen Sie den Waldzustandsbericht, für diesen werden Daten aus 400 Parzellen für ganz Deutschland ausgewertet. Dieses Netz ist viel zu dünn, um daraus substanzielle Rückschlüsse ableiten zu können. Und es wird außerdem immer schwieriger, aus dem Erfahrungswissen Lösungen für die aktuellen Probleme abzuleiten.

Was können Sie mit Ihrem Institut helfen, Lösungen zu finden?

Waldschutz ist in Deutschland Ländersache. Wir sollten also nicht die Arbeit der Länder wiederholen, sondern wollen am Institut Projekte realisieren, von denen alle Länder profitieren können. Und dabei geht es beispielsweise um Modelle und Simulationen mit bisher nicht verfügbaren Methoden. Wir wissen nicht genau, was für eine Zukunft wir haben und Modelle sollen uns dabei als Zeitmaschinen dienen. Aus diesem Grund entwickeln wir digitale Waldzwillinge, also Modellversionen von realen Wäldern, und füttern sie mit Echtzeit-Daten aus dem Wald, damit die Modelle von der Natur lernen. Das ist wie im Luftverkehr, Flugsimulatoren sind digitale Zwillinge, bei denen Piloten mit der Maschine wie in Realität interagieren, um sich für den ersten echten Start am Simulator als tauglich zu erweisen. Derzeitige Wald-Modelle sind hierfür nicht geeignet, da sie nicht für Bedingungen des Klimawandels entwickelt und parametrisiert wurden.

Wie erlebt der Mensch Henrik Hartmann den Wald? Joggend, als Spaziergänger oder durch Aktionen wie Waldbaden?

Waldbaden, das ist nicht so mein Ding. Ich gehe gelegentlich im Wald joggen, aber noch intensiver erlebe ich den Wald beim Spaziergang mit dem Hund. Aber auch da geht mein Blick stets nach oben in die Baumwipfel und ich habe daher leider auch schon das, was wir einen „Förster-Nacken“ nennen. Den ertrage ich aber gerne, dem Wald zuliebe.