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Universität Bielefeld
Prof. Dr. Andrea Bräutigam
„Ich bin eine Freundin klarer Worte“

Nach ihrem Studium in Köln sowie Stationen in den USA und Düsseldorf war Andrea Bräutigam von 2015 bis 2017 Arbeitsgruppenleiterin am IPK. Inzwischen ist sie Professorin an der Uni Bielefeld. Im Interview spricht sie über furchtlose Studentinnen und Studenten, Kölner Kneipen, ihre direkte Art und die richtige Suche nach wissenschaftlichem Nachwuchs.

Die Universität Bielefeld, 1969 gegründet, ist ein funktionaler Zweckbau für 25.000 Studierende am Rande des Zentrums einer Großstadt mit mehr als 330.000 Einwohnern. Wie schwer ist Ihnen die Umstellung gefallen, wenn Sie an den parkähnlichen Campus in Gatersleben und die fast familiäre Atmosphäre am IPK zurückdenken?

Natürlich ist jeder Wechsel eine Herausforderung, aber ich habe mich sofort an der Uni in Bielefeld wohl gefühlt. Was das Gebäude betrifft: da hängen Transparente, da wird Politik für Minderheiten gemacht, da habe ich sofort eine progressive Ausrichtung gespürt, für die das Uni-Gebäude nur das äußere Merkmal ist. Diese Atmosphäre und das enorme Engagement der Studentinnen und Studenten finde ich großartig. Und eine gewisse linke Ausrichtung ist mir auch nicht unsympathisch.

Das klingt fast so, als fühlten Sie sich an Ihre Studentenzeit erinnert.

In der Tat. Für mich ist Bielefeld in gewisser Weise ein Schritt zurück zu meinen Wurzeln. Ich habe in Köln studiert. Dort hatten wir ein beinahe baufälliges Uni-Gebäude für Biologie, was der progressiven Ausrichtung aber sicher nicht geschadet hat, im Gegenteil. Solch eine Umgebung ist mir lieber als eine geleckte Campus-Universität, wie ich sie später erlebt habe.      

Wie unterscheidet sich die Arbeitsweise eines Leibniz-Institutes und einer Universität? Was hat Sie beim Start in Bielefeld am meisten überrascht? Und was war für Sie die größte Herausforderung? 

Es sind vor allem zwei Dinge, die ein Forschungsinstitut wie das IPK und eine Uni unterscheiden: der starke Anteil der Lehre und die Selbstverwaltung, die an der Uni sehr zeitintensiv sind. Deshalb ist die größte Herausforderung, ein gutes Zeitmanagement für sich auf die Beine zu stellen. Und die größte Überraschung ist für mich bis heute, wie viele Studentinnen und Studenten ihre Projekte angehen: Furchtlos und ohne Scheu vor dem Risiko des Scheiterns, das ist großartig und imponiert mir sehr. 

Sie sind Professorin der Fakultät für Biologie. Was ist dort Ihr fachlicher Schwerpunkt? Und was hat Sie an der Stelle so gereizt, dass Sie das IPK verlassen haben?

Ich arbeite weiter an der Schnittstelle von Bioinformatik und Biologie. Dabei beschäftige ich mich mit verschiedenen Fragen zu Netzwerken, zur Photosynthese und zur Evolution. Mit den Netzwerken setze ich einen Schwerpunkt fort, den ich schon am IPK hatte. Bei der Photosynthese beschäftige ich mich unter anderem mit Pflanzen an Standorten mit extremen Bedingungen. Bei der Evolution geht es auch um Algen und Moose, aber auch andere exotische Pflanzen. Das war am IPK mit dem Fokus auf Kulturpflanzen in dem Maße nicht möglich.     

Viele frühere Kolleginnen und Kollegen beschreiben sie als extrovertierte Frau. Kommt Ihnen Ihre offene Art bei der Lehre an der Universität entgegen? Und wie kommen Sie mit den Leuten in Ostwestfalen zurecht, die ja eher als verschlossen gelten?

Ach, das passt schon alles gut zusammen. Ich würde meine Art als sehr direkt beschreiben, und ich bin in jedem Fall eine Freundin klarer Worte. Das kommt bei den Studentinnen und Studenten hier gut an. Da ich aus Warstein komme, ist mir die westfälische Art zudem nicht fremd. Und ich profitiere natürlich auch sehr von meinen Erfahrungen in Köln und in den USA.

Das müssen Sie erklären.

In Köln sitzt man in einer Kneipe an einem großen, langen Tisch nicht lange allein. Da setzt sich sehr schnell jemand dazu und man kommt ins Gespräch. In Ostwestfalen ist das anders herum. Wenn da jemand alleine an einem Tisch für zehn Personen sitzt, gilt der Tisch als besetzt. Beides zu kennen, hilft einem auf jeden Fall weiter. Und in den USA habe ich die Kunst des Small Talks kennengelernt. Steht man dort zu fünft auf einer Party, wird man den anderen vorgestellt und kommt ins Gespräch. Das Interesse der anderen Personen ist durchaus ehrlich gemeint, man darf nur nicht glauben, dass da tiefe Freundschaften draus werden. Aber trifft man sich Monate später bei einem anderen Anlass wieder, können sich die Leute noch an einen erinnern.  

Schon ein schneller Blick auf die Website der Uni Bielefeld verrät, dass Sie auch dort in zahlreichen Gremien verantwortliche Positionen übernommen haben. Sind Sie ein umtriebiger Typ?

Das ist ganz einfach: Die Gremien sollen - wenn möglich - paritätisch besetzt werden. Und da es mehr Männer als Frauen gibt, wird man als Frau öfter gefragt. Ich erledige diese Pflichtaufgaben ohne Widerwillen. Und geht es darum, sich für Veränderungen einzusetzen, die mir sehr wichtig sind, dann engagiere ich mich ausgesprochen gerne.   

Sie waren im Februar 2020 bei einer Veranstaltung des AVATARS-Projektes am Institut. Zu welchen Kolleginnen und Kollegen haben Sie noch Kontakt? Und gibt es noch gemeinsame Projekte?

Ja, die gibt es. Im Zuge des AVATARS-Projektes war ich im Februar 2020 das letzte Mal am IPK, dann kam die Pandemie und die halbjährlich angesetzten Treffen fanden nur noch virtuell statt. Ich hoffe, dass sich das bald wieder ändert. Ansonsten habe ich noch einen regen Austausch mit Uwe Scholz und denke mit Nils Stein gerade über weitere Kooperationen beim Thema Gerste nach.

Wie sehen Sie das IPK heute? Spielt es, um es in der Fußballsprache zu sagen, in der Champions League oder ist es ein Ausbildungsverein?

Ihre Frage geht von einem Gegensatz aus, den es für mich überhaupt nicht gibt. In der Wissenschaft sind Spitzeninstitute und -universitäten oft auch großartige Ausbildungsstätten. In der Fußballmetapher gesprochen: Wenn Talente ihren Verein eines Tages verlassen, verbessert das den Ruf des Vereins und ist ein Ausweis von Exzellenz. Dieses Denken sollte Teil der DNA von Instituten wie dem IPK sein.

Das IPK will junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch mit neuen Perspektivgruppen fördern. Welche Vorteile bieten sich aus Ihrer Sicht jungen Kolleginnen und Kollegen am IPK?

Für mich war die Zeit am IPK ein großes Karrieresprungbrett. Und es steht für mich außer Frage, dass Institute wie das IPK weiterhin voll auf den Nachwuchs setzen sollten. Dafür müssen jedoch wirklich gute Bedingungen geschaffen werden, es geht nicht darum, bestimmte Stellen als Feigenblätter zu nutzen.

Worum geht es ganz konkret?

Junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler brauchen drei Dinge: Ein selbstgewähltes Forschungsgebiet, dem sie in ihrer Gruppe und in ihrer Abteilung nachgehen können. Sie brauchen das entsprechende Set up, also die erforderlichen finanziellen Mittel und sie brauchen Personal. Anders funktioniert es nicht, denn ich kann als junge Wissenschaftlerin nicht gleichzeitig Fördermittel einwerben, im Labor stehen und Paper schreiben.