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IPK Leibniz-Institut/ L. Tiller
Prof. Dr. Andreas Houben
Mister X

Fünf Arbeitsgruppen beschäftigen sich am IPK hauptsächlich mit Fragen der Chromosomen-Biologie. Viele Fäden laufen bei Andreas Houben zusammen. Wie er das Thema erklärt, was exzellente Wissenschaftler ausmacht und warum er gerade von einem Goldenen Zeitalter für sein Forschungsgebiet spricht, erklärt er im IPK-Journal.

Eine Kabeltrommel, ein Schlafsack, ein Wollknäuel oder ein Teller voller bunter Nudeln: Andreas Houben greift auf all diese Hilfsmittel zurück, wenn er seine Arbeit erklärt. Natürlich hat er diese Sachen nicht in seinem Büro oder Labor stehen, aber er nutzt sie, um möglichst anschaulich sein Arbeitsgebiet zu erklären, die Chromosomenforschung. Die Kabeltrommel steht für bestimmte Proteine (Histone), um die die DNA aufgewickelt wird. Die DNA wird anschließend immer mehr verdichtet („Wollknäuel“) bis sie vollständig im Chromosom verpackt ist („Schlafsack“). Und der Teller voller bunter Nudel steht für die Chromatinfäden, aus denen sich das Chromosom bildet. „Natürlich braucht man zu Beginn solche Bilder und Vergleiche, um die Leute erst anzuschalten. Anschließend kann man beginnen, ihnen die Faszination des Themas nahe zu bringen.“

Schlechter Eindruck beim Professor

Andreas Houben selbst fasziniert alles rund um Chromatiden, Zentromere und DNA bereits seit einigen Jahrzehnten, genauer gesagt, seit einem ersten Blick durch das Mikroskop während des Landwirtschaftsstudiums in Halle. Dabei hat einer seiner Professoren keinen guten Eindruck von seinem Studenten. Den Satz „So wie Sie am Mikroskop sitzen, wird nichts aus Ihnen“, habe er sich anhören müssen, erinnert sich Andreas Houben. „Ich hatte nach seinem Geschmack wohl eine zu entspannte Körperhaltung beim Auszählen der Chromosomen mit ihrer typischen X-Form.“        

Heute zählt Andreas Houben zu den weltweit führenden Wissenschaftlern seines Fachgebietes. Neben zahlreichen Veröffentlichungen in renommierten Journalen hat er bis heute mehr als 30 Anträge bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingereicht, die große Mehrzahl wurde im Anschluss genehmigt. Klappe es einmal nicht mit einem Antrag, müsse man das immer sportlich sehen, dürfe es nicht persönlich nehmen, sagt der IPK-Wissenschaftler. Gleichwohl ist er weiter hochmotiviert. „Wenn man als Wissenschaftler in hochrangigen Zeitschriften veröffentlicht hat, gewissermaßen einmal getrunken hat vom süßen Saft, dann möchte man natürlich noch einen Schluck nehmen.“

Die Faszination ist entscheidend

Die Grundlage für wissenschaftlichen Erfolg ist für Andreas Houben dabei klar. „Ein Thema, eine Idee muss Dich faszinieren und Du musst bereit sein, Dich in ein Thema reinzubeißen, mögliche Rückschläge inbegriffen“, erklärt der IPK-Wissenschaftler. „Und gleichzeitig musst Du Spaß haben, Dein Thema mit dem Kopf Schritt für Schritt immer weiter zu erkunden und bereits sein, Spaß und Faszination an Deine Kolleginnen und Kollegen weiterzugeben.“

Das scheint am Institut seit Jahrzehnten gut zu funktionieren. „Chromosomenforschung wird hier schon seit Jahrzehnten konsequent und mit großem Erfolg verfolgt“, betont Andreas Houben. Ein Meilenstein ist das 1954 erstmals erschienene Standardwerk „Glossary of Genetics“. Zwei der drei Autoren - Rigomar Rieger und Arnd Michaelis - waren Wissenschaftler am damaligen Zentralinstitut für Genetik und Kulturpflanzenforschung. Sie waren die Vorgesetzten von Ingo Schubert, der später die Chromosomenforschung in Gatersleben entscheidend mitprägte und dem Andreas Houben als Arbeitsgruppenleiter folgte. „Eine solche Kontinuität ist eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg.“ Diese Überzeugung versucht Andreas Houben auch möglichst gut in die Tat umzusetzen, in dem er heute selbst junge Kolleginnen und Kollegen wie Stefan Heckmann oder Amanda Camara begleitet und unterstützt. „Natürlich freue ich mich, wenn auch sie auf eigenen Füßen stehen können und ihre Fußabdrücke in der Forschung hinterlassen“, sagt der Arbeitsgruppenleiter. Und das scheint zu klappen.

Erfolgreicher Nachwuchs

Stefan Heckmann hat mittlerweile nicht nur seine eigene unabhängige Arbeitsgruppe, die sich mit der Meiose beschäftigt. Er konnte 2021 auch einen Starting Grant des European Research Council einwerben. Und erst vor wenigen Monaten hatte ein Postdoc seiner Gruppe eine Veröffentlichung bei „Nature Plants“. Dabei ging es um ein Verfahren („Turbo ID“), mit dem auch neue meiotische Proteine entlang der Chromosomenachsen identifiziert werden können. Und Amanda Camara war kürzlich einer der Erstautorinnen einer Studie, in der erstmals mit vier Verfahren die Spiralstruktur der Chromosomen nachgewiesen werden konnte. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse in „Nucleic Acids Reserach“.

Der enge Kontakt der insgesamt fünf Arbeitsgruppen, die sich am IPK mit Themen aus dem Bereich der Chromosomen-Biologie beschäftigen, wird bewusst gepflegt. Im Bergdorf Sieber im Oberharz kamen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Mai bereits zum vierten Mal für einige Tage zum „Retreat“ zusammen. Einen Abenteuerspielplatz, eine Wassertretstelle für Kneipp-Anwendungen und die Kirche St. Benedictus - viel mehr gibt es in dem 500-Einwohner-Dorf bei St. Andreasberg nicht. Doch damit war der Ort jedoch genau das richtige Ziel für die rund 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Wissenschaft und den technischen Bereichen. Ihr Quartier schlugen sie auf in einem Seminarhaus an der Sieber, dem kleinen Bach, der dem Ort seinen Namen gab. „Ziel war es zum einen, Ideen auszutauschen und kritische Rückmeldungen für die eigene Arbeit zu bekommen. Zum anderen wollten wir das „Wir-Gefühl“ stärken und abseits des Instituts ins Gespräch kommen. Dafür war das abgeschiedene Gästehaus genau der richtige Ort“, erklärte Andreas Houben. All das schlage sich auch positiv im Arbeitsalltag nieder. „Mit dem Austausch über Arbeitsgruppen hinweg befruchten wir uns gegenseitig und schieben dann bei bestimmten Projekten gerade die jüngeren Kolleginnen und Kollegen gemeinsam über die Ziellinie.“

"Goldenes Zeitalter"

Doch auch über das IPK hinaus betreibt Andreas Houben die Vernetzung. So war er als Leiter der Sektion Zytogenetik der Gesellschaft für Pflanzenforschung Mitorganisator eines Treffens von mehr als 60 Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland, Tschechien und Großbritannien 2021 in Görlitz. Im Anschluss sprach er fast euphorisch vom „Goldenen Zeitalter“, das sein Forschungsgebiet gerade erlebe. „Wir haben heute mit der Biotechnologie, der hochauflösenden Mikroskopie und auch der sequenzbasierten Genomanalyse Techniken an der Hand, die es uns erlauben, Fragestellungen anzugehen, die vor einigen Jahren noch undenkbar waren“, erklärt der Arbeitsgruppenleiter. Und das sei für ihn in doppelter Hinsicht motivierend. „Man hat mehr Möglichkeiten, stellt aber zugleich auch höhere Ansprüche an die eigene Arbeit.“

Diese Ansprüche teilt er auch mit einem ehemaligen Kollegen, mit Holger Puchta vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Beide hatten in der jüngsten Vergangenheit einige gemeinsame Veröffentlichungen. „Mit der CRISPR/Cas-Technologie ist es uns 2017 gelungen, erstmals definierte Sequenzen in lebenden Zellen, sichtbar zu machen“, erläutert Andreas Houben. 2020 folgten dann zwei weitere gemeinsame Veröffentlichungen. Zum einen gelang es beiden mit Kolleginnen und Kollegen, mit CRISPR/Cas nicht nur einzelne Gene zu editieren, sondern sogar komplette Chromosomen neu zusammenzusetzen. So können gewünschte Eigenschaften in Kulturpflanzen neu kombiniert aber auch fixiert werden. Zum anderen gelang es Andreas Houben und Holger Puchta, mit der Genschere die Abfolge von Genen innerhalb eines Chromosoms zu verändern. Anhand einer weit verbreiteten Chromosomenveränderung in der Modellpflanze Arabidopsis demonstrierten sie erstmals, wie sich Umkehrungen der Genabfolge rückgängig machen lassen und Vererbung sich auf diese Weise gezielt steuern lässt. Basierend auf diesen Arbeiten, wurde unlängst ein gemeinsames Projekt beim Bundesministerium für Forschung und Bildung erfolgreich eingeworben.

Das sein Kollege aus Karlsruhe dabei selbstbewusster auftritt, stört Andreas Houben nicht. „Wir respektieren uns, wir wissen uns gegenseitig zu nehmen. Und auch wenn Holger Puchta lauter daherkommt, bei ihm steckt fachlich immer etwas dahinter.“

Immer noch neugierig

Und was gilt es noch zu erforschen? Andreas Houben nennt die B-Chromosomen als ein Beispiel. Diese sind für den Träger von Nachteil, vermehren sich jedoch zugleich überproportional schnell. „Dieser sogenannte Chromosom-Drive wirkt letztendlich wie eine Art Schutzmechanismus für das B-Chromosom. Und diesen Mechanismus wollen wir noch besser verstehen und wenn möglich gezielt zum Vorteil von Kulturpflanzen nutzen.“

Zunächst aber setzt sich Andreas Houben an diesem Frühjahrstag wieder an seinen Schreibtisch. Er arbeitet gerade noch an seinem Einführungsvortrag, den er inzwischen am Tag der offenen Türen gehalten hat. Und er hat einen guten Aufhänger. Wieder geht es um die Spiralstruktur der Chromosomen. „Dazu gab es auch vor 80 Jahren schon eine Veröffentlichung. Das Thema wurde also bereits 1943, im Jahr der Institutsgründung diskutiert, somit schließt sich mit unserer jüngsten Publikation dazu also gewissermaßen der Kreis.“

Fachvortrag ist einfacher

Doch trotz Rückgriff auf Kabeltrommel, Schlafsack, Wollknäuel und den bunten Nudelteller - Andreas Houben weiß, dass es immer viel Arbeit bedeutet, seine Forschung allgemein verständlich zu erklären. „Einen Fachvortrag vorzubereiten, geht in jedem Fall schneller.“