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IPK Leibniz-Institut/ L. Tiller
Anja Ewerhardy kümmert sich um die ältesten Bücher im Bestand des IPK.
Zwischen Holzwurm, Edelweiß und einem grünen BH

Auch im Zeitalter des Internets üben historische Bücher noch einen besonderen Reiz aus. Das älteste Werk im Bestand des IPK stammt aus dem Jahr 1554. Und Bibliotheks-Assistentin Anja Ewerhardy hat so manch eine Kuriosität zu erzählen.

Mit einem kräftigen Rück öffnet Anja Ewerhardy die beiden Türen des grauen Stahlschranks im hintersten Winkel des Bibliotheks-Gebäudes. Der unscheinbare Schrank sei so etwas wie das „Heiligtum“ der Bibliothek, erzählt sie. Was hinter den Türen zum Vorschein kommt, das verschlägt der Bibliotheks-Assistentin jedes Mal wieder den Atem: Sauber aufgereiht stehen dort die ältesten Bücher im Bestand des IPK, teilweise aus dem 16. Jahrhundert. „Mein Herz hängt an diesen Büchern und sie üben eine besondere Faszination aus.“ Viele der Werke hat das Institut aus Nachlässen übernommen - und dafür in einigen Fällen auch bezahlt. „So hat eine „Fräulein Wein“, Tochter eines Wissenschaftlers aus Nordhausen, 1969 vom Institut 3.000 DDR-Mark für die alten Bücher aus dem Nachlass ihres Vaters bekommen“, berichtet Anja Ewerhardy. Häufig bekomme das IPK Bücher aus Nachlässen auch geschenkt, wie erst kürzlich von einem Mann aus Halberstadt.

Neben dem Stahlschrank hat Anja Ewerhardy ein paar ganz besondere Exemplare ausgelegt. „Das hier ist unser ältestes Buch, es stammt aus dem Jahr 1554 und hat noch den originalen Einband aus Schweineleder“, erklärt die 55-Jährige und streift sich ihre weißen Handschuhe über, bevor sie es berührt. Beim Umblättern knarzen die Seiten dieses „Kreuterbuches“ (so im Original) ein wenig, was dem Betrachter noch mehr Respekt einflößt. 

Auch das Buch daneben erschließt sich zunächst über die Sinne. Mit dem Zeigefinger klopft Anja Ewerhardy einige Male auf den Einband. Holz? Ja, der Einband ist tatsächlich aus Holz. Und das hört man nicht nur, man sieht es auch. „Schauen Sie, hier genau ist der Holzwurm durmarschiert“, sagt die 55-Jährige und zeigt beim Umblättern auf die Löcher, die sich auf allen Seiten an derselben Stelle befinden. Zwar fehlen bei dem Werk aus dem Jahr 1591 in der Zwischenzeit die Beschläge, dafür fallen jedoch sofort die detailgetreuen Zeichnungen auf. „Das ist auch mein Lieblingsbuch.“

Bücher haben die 55-Jährige, die seit 1989 am Institut beschäftigt ist, schon als Kind sehr interessiert. „Als Zweitklässlerin habe ich in der Gewerkschaftsbibliothek, die sich damals hinter dem Hörsaal befand und von der Frau des Institutsdirektors Helmut Böhme betreut wurde, ausgeholfen.“ Nach der Wende machte Anja Ewerhardy dann eine Ausbildung als Bibliotheks-Assistentin und organisierte in den vergangenen Jahren immer wieder auch Führungen für Kinder. Seit dem Sommer bietet sie auch immer wieder Führungen für die Belegschaft des Institutes an. Und sie weiß, dass alte Bücher ganz besondere Geschichten erzählen können. Wie ein Werk aus dem Jahre 1588, das sie ebenfalls aus dem grauen Stahlschrank genommen hat. 

In einer aufwändig gestalteten Schwarz-Weiß-Zeichnung sticht ein kleiner grüner Fleck heraus. Erst auf den zweiten Blick sieht man, dass eine Frau dort einen grünen BH trägt. „Vermutlich hat ihn später einmal ein Kind aus Langeweile dazu gemalt“, mutmaßt die Assistentin. Und auch in einem Weltatlas aus dem Jahr 1678 hat sie etwas Besonderes entdeckt. Auf einer doppelseitigen Weltkarte stimmen nicht nur die Proportionen nicht, sondern auch Neuseeland fehlt noch. Dafür gibt es in dem Buch Zeichnungen von mehreren Drachen, vermutlich so, wie den damaligen Vorstellungen entsprachen. „In solchen Fällen sind Bücher auch immer Zeitzeugen, und das IPK kann stolz darauf sein, solche Schätze im Bestand zu haben“, betont die Aschersleberin.

Das gilt auch für die „Leningrader Aquarelle“, 50 farbige Zeichnungen der Künstlerin Maria Sibylla Merian (1647-1717). Sie hat sich vor allem auf die Darstellung von Insekten konzentriert. Über den Leibarzt Peter des Großen seien die Zeichnungen nach Russland gekommen, aber das Institut konnte Nachdrucke aus Leipzig erwerben, erzählt Anja Ewerhardy. Sie ist nicht nur von den Zeichnungen fasziniert, sondern auch von Maria Sibylla Merian selbst. „Sie hat ihren Mann verlassen, als alleinstehende Frau eine Weltreise unternommen und später in Amsterdam eine Malschule für Frauen gegründet“, berichtet die Bibliotheks-Mitarbeiterin.

Und manchmal finden sich in den Büchern auch Überraschungen, wie in einem noch recht jungen Buch aus dem Jahr 1914 zur „Flora in Bayern“. „Dort habe ich zwischen zwei Seiten eine Edelweiß-Pflanze gefunden.“ Möglicherweise, so ihre Vermutung, haben sie Forscher nach einer Exkursion in das Buch gelegt und dann dort vergessen.