Die Tradition der Kulturpflanzenforschung

Ein assyrisches Relief als Symbol für die Tradition der Kulturpflanzenforschung

Im Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben befindet sich ein Abguss eines assyrischen Reliefs aus der Zeit Aššur-nâṣir-apli II. (883–859 v. Chr.). Dargestellt ist die künstliche Bestäubung von Dattelpalmen. Eine der ältesten Kulturtechniken zur Ertragssteigerung. Die Szene zeigt eine geflügelte Figur (Apkallu), welche die gezielte Bestäubung symbolisiert. Das Motiv verbindet reale agrarische Praxis mit Vorstellungen von Fruchtbarkeit, Herrschaft und göttlicher Legitimation. 

Symbolik von Fruchtbarkeit und Herrschaft 

In der sogenannten „Schwarzen Halle“ des Instituts befindet sich ein Abguss eines assyrischen Reliefs. Das Original stammt aus dem Palast von Nimrud (Kalḫu) im heutigen Irak und ist ein Zeugnis neuassyrischer Kunst. Die dargestellte Szene zeigt die künstliche Bestäubung einer Dattelpalme, ein Motiv, das in der assyrischen Ikonografie mehrfach wiederkehrt. Es vereint mythische und praktische Dimensionen. 

Auf dem Relief ist eine geflügelte Figur, der sogenannte Apkallu, dargestellt. Apkallu (sumerisch Abgal) gelten als Schutzgeister („Sieben Weise“), die von den Göttern entsandt wurden, um den Menschen göttliche Weisheit, Kulturtechniken und Schutz zu vermitteln. In der einen Hand tragen die Figuren einen Korb mit Pollen, in der anderen ein zapfenförmiges Objekt, das als männlicher Blütenstand der Dattelpalme gedeutet wird. Mit diesem überträgt er die Pollen auf die Blüten einer weiblichen Palme. Diese Technik der gezielten, manuellen Bestäubung ist seit der Antike bekannt und wird bis heute in Oasenregionen praktiziert, da Dattelpalmen im Freiland nur unzureichend durch Wind oder Insekten bestäubt werden. Damit dokumentiert das Relief nicht nur eine hoch entwickelte agrarische Praxis, sondern auch eine enge Verbindung zwischen kultischem Ritual, Wissenstransfer und landwirtschaftlicher Innovation. 

Die Bestäubungsszene besitzt eine starke symbolische Bedeutung. In Mesopotamien galt die Dattelpalme als heiliger Baum, der für Fruchtbarkeit, Wohlstand und Erneuerung stand. Indem die Handlung entweder durch ein göttliches Wesen oder den König selbst ausgeführt wurde, verband sich die Darstellung mit der Idee legitimer Herrschaft, die auf der Gewährleistung von Fruchtbarkeit und Ordnung beruhte. Das Relief macht sichtbar, wie eng in der Antike agrarisches Wissen, religiöse Symbolik und politische Macht miteinander verknüpft waren.

Infobox: 

Dattelpalmen sind zweihäusig. Das bedeutet, dass es getrennte männliche und weibliche Individuen gibt. Für die Fruchtbildung müssen die Pollen der männlichen Pflanzen auf die weiblichen Pflanzen übertragen werden. In der Natur geschieht dies vorwiegend durch den Wind. In der landwirtschaftlichen Praxis wird die Bestäubung jedoch künstlich unterstützt, um Ertragssicherheit zu gewährleisten. Dazu werden die Blütenstände der männlichen Palmen abgeschnitten und der Pollen mithilfe von Pinseln oder speziellen Werkzeugen auf die Blütenstände der weiblichen Palmen übertragen. Da weibliche Blüten nur wenige Tage lang empfängnisbereit sind, muss die Bestäubung zudem innerhalb eines engen Zeitfensters erfolgen.

Warum im IPK Gatersleben? 


Dass der Abguss seinen Platz im IPK in Gatersleben gefunden hat, ist mehr als eine ästhetische Entscheidung. Es spiegelt das Selbstverständnis des Instituts wider, das sich seit seiner Gründung im Jahr 1943 als internationales Zentrum für die Erhaltung, Erforschung und Weiterentwicklung von Kulturpflanzen versteht. Der Blick in die Vergangenheit verdeutlicht die Kontinuität menschlicher Anstrengungen, Pflanzen gezielt zu verbessern, um Erträge zu sichern. Während die Assyrer die Handbestäubung nutzten, um den Ertrag der Dattelpalmen zu steigern, arbeitet die heutige Forschung mit Methoden der Genetik, Genomik und Biotechnologie daran, Kulturpflanzen für eine nachhaltige Landwirtschaft weiterzuentwickeln. 

Das Relief symbolisiert diese Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart, indem es zeigt, dass moderne Wissenschaft auf dem Fundament jahrtausendealter Kulturtechniken aufbaut. Gleichzeitig erfüllt das Relief im IPK eine repräsentative und identitätsstiftende Funktion. Es macht die historische Tiefe der Pflanzenforschung sichtbar und stellt eine Verbindung zwischen den Anfängen des Ackerbaus und der heutigen Pflanzenforschung her. Für Besucherinnen und Besucher ebenso wie für die Forschenden selbst erinnert es daran, dass die Arbeit an und mit Kulturpflanzen Teil einer langen Geschichte menschlicher Kreativität und Anpassung ist. Das Relief ist mehr als ein dekoratives Schmuckstück. Es ist ein Symbol für die historische Verwurzelung und die globale Bedeutung der Kulturpflanzenforschung, die im IPK Leibniz-Institut fortgeführt wird. 

Anregungen zum Weiterlesen:

Franklin, N. (2021): The Assyrian Stylized Tree: A Date Palm Plantation and Aššurnaṣirpal II’s Stemma.; Ash-sharq Volume 5 (2021): 77–96; https://www.researchgate.net/publication/357768827_The_Assyrian_Stylized_Tree_A_Date_Palm_Plantation_and_Assurnasirpal_II's_Stemma#fullTextFileContent 

Giovino, M. (2007): The Assyrian Sacred Tree: A History of Interpretations. Fribourg, Switzerland / Göttingen, Germany: Academic Press / Vandenhoeck & Ruprecht.; https://doi.org/10.5167/uzh-141569

Porter, B. N. (1993): Sacred Trees, Date Palms, and the Royal Persona of Ashurnasirpal II., The University of Chicago; https://doi.org/10.1086/373613